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Lockruf der Vergangenheit

Lockruf der Vergangenheit

Titel: Lockruf der Vergangenheit
Autoren: wood
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in Gefahr. Solange ich mich nicht erinnerte, mußte ich um mein Leben bangen, und die Gefahr wurde mit jedem Tag größer. Ich mußte mich retten.
    Ich betrat das Frühstückszimmer mit großer Beklommenheit. Martha und Theo saßen allein am Tisch. Ich setzte mich an meinen gewohnten Platz und nahm mir Toast und Marmelade. Unser Gespräch war oberflächlich und belanglos; wir sprachen über Annas Kummer, fragten uns, wann endlich der Frühling kommen würde, wann wir das letztemal einen so langen und kalten Winter gehabt hatten. Als Colin eintrat, tat mein Herz einen Sprung. Würde ich mich niemals an ihn gewöhnen, an seine Nähe, sein plötzliches Erscheinen? Nein, hoffentlich nicht, dachte ich, denn dieses Herzklopfen, dieses Prickeln ist etwas Herrliches. Er setzte sich mir gegenüber, lächelte höflich und schenkte sich Tee ein.
    Ich hatte den meinen bisher nicht angerührt.
    Das Gespräch, etwas gezwungen jetzt, wandte sich dem Geschäft zu, einem neuen Reformgesetz, über das im Parlament entschieden werden sollte.
    »Ja, wir leben in einer schnellebigen Zeit, Theo. Vorbei ist es mit Ruhe und Beschaulichkeit. Dies ist das Zeitalter der Gaslampen, der Dampfmaschine und der Heißluftballons.« Colin unterstrich seine Worte mit weit ausholenden Gesten. »Nie zuvor ist der Mensch so schnell so weit gereist.«
    Plötzlich schlug sein Arm versehentlich an meine Teetasse. Sie kippte um, und der Tee ergoß sich über das Tischtuch. »Oh, entschuldige vielmals, Leyla. Wie ungeschickt von mir.« Er tupfte den vergossenen Tee mit seiner Serviette auf. »Hier«, sagte er mit einem verlegenen Lächeln und reichte mir seine Tasse. »Nimm meinen.«
    Jetzt begriff ich. Ich dankte ihm mit einem Lächeln und nahm die dargebotene Tasse.
    »Es ist ein Zeitalter beständigen Fortschritts, dem wir folgen müssen, wenn wir nicht den Anschluß verlieren wollen. Du wirst mit den anderen Spinnereien in Wettbewerb treten müssen, Theo. Sie fangen schon an, die neuen Webstühle zu kaufen, und nach dem, was ich gehört habe, wird durch diese neuen Maschinen die Produktion unglaublich beschleunigt.«
    Das ganze Gespräch bestand im Grunde aus einem Monolog Colins, der sich nicht darum zu kümmern schien, daß Martha stumm blieb, während Theo allenfalls hin und wieder eine geringschätzige Bemerkung machte. Ich saß unruhig auf dem Rand meines Stuhls und dachte, sie würden niemals gehen. Erst als Theo und Martha endlich aufstanden und hinausgingen, seufzte ich erleichtert und entspannte mich ein wenig.
    Colin beugte sich über den Tisch und nahm meine Hand. »Und du gehst heute ins Wäldchen, Leyla?«
    »Ja, so bald wie möglich. Aber ich möchte allein gehen, Colin. Es ist lieb von dir, daß du mir angeboten hast, mich zu begleiten, aber ich glaube, ich muß allein sein.«
    »Wenn du mir zu lange ausbleibst, komme ich nach und hole dich.« Ich lachte ein wenig. Nichts als Liebe und Zärtlichkeit war in Colins Augen, und doch, erinnerte ich mich jetzt, hatte es am vergangenen Abend einen Moment gegeben, in dem er angespannt und beunruhigt gewirkt hatte. Als ich ihm von meiner flüchtigen Erinnerung an den Rubinring erzählt hatte.
    »Colin«, sagte ich, »was kann es bedeuten, daß mir die Erinnerung an den Rubinring nur im Zusammenhang mit dem Wäldchen gekommen ist und sonst überhaupt nicht?«
    Da, da war es wieder, und diesmal saßen wir in einem hellen Zimmer, durch dessen Fenster das Morgenlicht strömte. Diesmal sah ich, wie Colin sich bei der Erwähnung des Ringes veränderte. Aber er bemühte sich, seine Reaktion zu verbergen. »Ich habe keine Erklärung dafür.«
    »Theo hat ihn doch von Sir John geerbt, nicht wahr? Warum hat der ihn nicht zuerst Onkel Henry vermacht?«
    »Tatsächlich war es so – « Colin räusperte sich, und ich hatte den Eindruck, daß er seine Worte sorgfältig abwog – »daß zuerst mein Vater den Ring bekam. Er bekam ihn schon als kleiner Junge von seinem Vater und hatte ihn viele Jahre getragen. Nach seinem Tod nahm Sir John den Ring wieder an sich und trug ihn bis zu seinem eigenen Tod zwei Jahre später. Dann bekam Theo ihn, weil Onkel Henry ihn nicht haben wollte.«
    »Und was glaubst du, warum er gestohlen wurde?« Er strich Butter auf seinen Toast. »Ich weiß es nicht. Es war wohl irgend jemand von den Angestellten, nehme ich an.«
    Seine Mimik war etwas zu unbeteiligt, zu beiläufig, aber ich ließ es dabei bewenden. Wenn Colin nicht über den Ring sprechen wollte, sollte es mir recht sein. So
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