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Lockruf der Vergangenheit

Lockruf der Vergangenheit

Titel: Lockruf der Vergangenheit
Autoren: wood
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haben wir Zeit.«
    Ich hörte Colins schweren Atem. Unsere kleine Kerze war so weit abgebrannt, daß sie kaum noch Licht spendete.
    »Wieviel Zeit?« fragte er angstvoll. »Bei deinem ersten Besuch im Wäldchen hast du dich an gar nichts erinnert. Wie oft wirst du noch zurückgehen müssen?«
    Ich überlegte mir meine Worte, ehe ich antwortete. »Doch, an eine Kleinigkeit habe ich mich erinnert, ich habe dir nur nichts davon gesagt. Als ich da unten ganz allein unter den Bäumen stand, hatte ich plötzlich ein flüchtiges, aber sehr deutliches Bild.«
    »Wovon?«
    »Es kann sein, daß es mit den Geschehnissen von damals nichts zu tun hat – «
    »Aber es kann auch ungeheuer wichtig sein. Woran hast du dich erinnert?«
    »Ich sah plötzlich den Rubinring, der Theo gehört.« Ich merkte, wie Colin erstarrte. »Den Ring?« sagte er tonlos. »Das ist merkwürdig.«
    »Das fand ich auch. Er hat wahrscheinlich mit dem Tod meines Vaters gar nichts zu tun, und trotzdem erinnerte ich mich seiner, als ich im Wäldchen stand. Ich hätte wahrscheinlich überhaupt nichts darauf gegeben, wäre der Ring nicht kurz danach verschwunden.«
    »Ich bin sicher, das ist nur ein Zufall«, sagte er wenig überzeugend. Obwohl ich sein Gesicht nicht sehen konnte, hatte ich das deutliche Gefühl, daß Colin stark beunruhigt war. »Darf ich dich etwas fragen?« Er nickte.
    »Wieso warst du eigentlich so sicher, daß mein Vater unschuldig war? Wieso hast du nicht, da du doch auch an die Krankheit glaubtest, die allgemeine Erklärung hingenommen? Hast du an der Geschichte von dem Tumor gezweifelt?«
    »Nein. Ich glaubte genauso daran, wie alle anderen. Und ich glaubte wie alle anderen, daß Sir John und sein Bruder von der Krankheit in den Wahnsinn getrieben worden waren. Aber bei deinem Vater konnte ich nicht daran glauben.«
    »Warum nicht, Colin?«
    Er schien einen Moment zu brauchen, um seine Worte zu bedenken, dann sagte er: »Du warst an dem Tag, an dem dein Vater und dein Bruder starben, nicht der einzige Beobachter im Wäldchen. Es war noch jemand da.«
    »Wer?«
    »Ich.«
    Im ersten Moment war ich sprachlos. »Du?« sagte ich dann ungläubig.
    »Ja. Ich war auch im Wäldchen, Leyla. Ich war dabei, als dein Vater und Thomas getötet wurden.«
    »Dann hast du alles gesehen?«
    »Nein, das nicht.« Er sprach hastig. »Ich streifte in der Nähe im Wald herum, als ich Thomas aufschreien hörte. Da ich glaubte, er hatte sich wehgetan, rannte ich sofort in die Richtung, aus der der Schrei gekommen war, aber ich kam zu spät. Als ich ins Wäldchen eindrang, sah ich dich im Gebüsch stehen. Du hattest einen ganz fremden Ausdruck auf dem Gesicht. Dann hörte ich ein dumpfes Geräusch, als sei jemand zu Boden gestürzt, und als ich mich umdrehte, sah ich deinen Vater neben deinem Bruder auf dem Boden liegen. Zur gleichen Zeit hörte ich es ganz in der Nähe rascheln und wußte sofort, daß da jemand davonlief. Ich rannte hinterher, aber ich konnte nicht sehen, wer es war.«
    »Und das war der Mörder!«
    »Ja, aber ich habe nur noch eine undeutliche Gestalt und die Bewegung der Äste an den Bäumen gesehen.«
    »Hast du denn mit niemandem darüber gesprochen?«
    »Mit wem hätte ich denn darüber sprechen können, Leyla? Ich war vierzehn Jahre alt und zu Tode geängstigt. Ich hatte zum erstenmal in meinem Leben einen Toten gesehen. Ich war tief erschrocken. An wen hätte ich mich wenden können? Ich wußte nur, daß jemand auf Pemberton Hurst zwei Morde begangen hatte. Woher hätte ich wissen sollen, daß die Person, der ich mich anvertraute, nicht selbst der Mörder war und mich ebenfalls töten würde, wenn sie hörte, was ich wußte? Mit wem hätte ich reden dürfen, Leyla? Sag mir das. Zwanzig Jahre lang habe ich mit diesem furchtbaren Geheimnis gelebt, saß Abend für Abend mit der ganzen Familie beim Essen und fragte mich immer wieder, wer von ihnen es gewesen war.«
    »Ach, Colin«, sagte ich in tiefem Mitgefühl.
    »Und dann standest plötzlich du vor der Tür wie ein rettender Engel.«
    »Aber warum hast du mir das alles nicht schon viel früher erzählt?«
    »Das konnte ich nicht, Leyla. Du trautest mir nicht. Ich konnte nicht erwarten, daß du mir glauben würdest. Ich wollte, daß die Erinnerung von selbst kam, unbeeinflußt von dem, was ich dir hätte erzählen können. Ich drängte dich ein wenig, gab dir ein paar Anhaltspunkte, aber ich konnte dir doch nicht alles erzählen, sonst hättest du vielleicht meine Schilderungen
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