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Lockenkopf 1 - Warum weint man, wenn einem etwas gefällt?

Lockenkopf 1 - Warum weint man, wenn einem etwas gefällt?

Titel: Lockenkopf 1 - Warum weint man, wenn einem etwas gefällt?
Autoren: Ursula Essling
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Tanz. Seine Freundin liegt im Krankenhaus und ist immer noch in Lebensgefahr.
    Die Polizei sagte aus, dass Klaus auf der Straße nach Auenheim, bei der Bahnüberführung eine Strecke für krumm hielt, die gerade war. Deshalb fuhr er mit voller Wucht gegen einen Baum. Er hatte einen Schädelbasisbruch und war sofort tot.
    Passiert ist das gestern um Mitternacht. Heute haben wir Sonntag und der ganze Ort spricht von nichts anderem. Mir tut Frau Müller so leid, jetzt hat sie nur noch vier Kinder. Außerdem konnte ich Klaus gut leiden, obwohl er schon erwachsen war.
    Dann kam Rita zu mir. Sie wirkte ganz unwirklich. Sie hat auch nicht geweint. Ich glaube, sie konnte das mit ihrem Bruder einfach nicht begreifen.
    Statt dessen fragte sie danach, was wir aufhätten, sie hat es gestern nämlich nicht so richtig mitgekriegt.
    Ich brachte Rita Kuchen, aber sie wollte nichts essen. Irgendwas Gutes wollte ich für sie tun, aber ich war so verlegen und wollte auch nichts falsch machen, dass ich nur nutzlos rumstand. Ich sagte ihr, bei so einem schlimmen Unglück brauche sie doch keine Aufgaben zu machen, da hätte sogar Herr Lorbach Verständnis. Rita blickte nur durch mich hindurch.
    Da kam zum Glück Mama rein. Sie kam aus dem Garten, um Salat fürs Mittagessen zu holen. Mama legte den Salat auf den Küchentisch, zog sich einen Stuhl heran und nahm meine Freundin in den Arm. Dann setzte sie sich, als wäre das Natürlichste auf der Welt, mit Rita auf dem Schoß hin. Ich verstand nur ganz undeutlich, was meine Mutter vor sich hinmurmelte. Jedenfalls fing Rita ganz fürchterlich zu weinen an. Zwischendurch putzte sie sich immer die Nase mit Mamas Taschentuch. Sie redete von Klaus, sprach davon, dass er ein toller Kerl gewesen sei. Sie lachte sogar mal spitz, als sie erzählte, wie die Mädchen hinter ihm her waren. Und immer wieder schluchzte sie. Sie hatte Angst, ihn jetzt zu sehen, und sie hatte Angst vor der Beerdigung. Nie würde er wieder kommen, am Tisch sitzen und von seiner Arbeit erzählen. Ihr nie wieder bei den Aufgaben helfen. Meine Mutter hielt sie an sich gedrückt, wie sie es bei mir machte, wenn ich Kummer hatte. Sie strich Rita über den Kopf und sagte ihr, dass sie jetzt ganz tapfer sein müsse, weil ihre Mutter sie jetzt ganz besonders brauche.
    „Bei der ist der Pfarrer“, weinte Rita. „Er wird sie zu trösten versuchen“, meinte Mama und strich über die braunen Zöpfe und die mageren, zuckenden Schultern. „Aber den allerbesten Trost kann Deine Mutter jetzt nur bei ihren Kindern finden!“
    „Aber Klaus, Klaus, o Gott, ich kann’s mir einfach nicht vorstellen!“
    „Ihm geht es gut. Rita glaube mir, vielleicht ist er sogar jetzt hier bei uns. Wir können ihn nur nicht bemerken. Schlimm ist es nur für Dich, Deine Eltern und Geschwister, weil Ihr ihn verloren habt!“
    Meine Mutter hob das Kinn, das bedeutete, ich solle rausgehen. Still setzte ich mich auf die Bank im Hof. Zuerst hatte ich es Mama übel genommen, dass sie meine Freundin so zum Weinen brachte. Dann begriff ich langsam, dass Rita das Weinen gut tat, sie irgendwie aus dem Gefängnis ihres wütenden Schmerzes befreite. Wenigstens für kurze Zeit. Und sie konnte über ihren Bruder reden. Ich wunderte mich auch überhaupt nicht, dass ich kein bisschen eifersüchtig war,
    Ich glaube, bei all dem bin ich doch ein kleines bisschen erwachsener geworden. Zum ersten Mal begriff ich nämlich, dass auch der Schmerz zum Erwachsenwerden gehört.
    Klaus Müllers Freundin wurde wieder gesund.
    „Na, wenigstens ihr wird das eine Lehre sein, in Zukunft einen Helm zu tragen“, sabberte Frau Mühlbauer. „Hätte Klaus einen aufgehabt, würde er bestimmt noch leben!“
    Ich fragte meine Mutter, ob Frau Mühlbauer recht hätte. Sie zuckte aber nur die Schultern: „Weißt Du, Ulli, es gibt Menschen, die müssen bei allem das letzte Wort haben, nur um sich selbst zu bestätigen. Vielleicht sind solche Leute eher zu bedauern als zu verurteilen.“
     
     

Die Stimme des Gewissens
    Es wurde Herbst, allmählich wurde Rita wieder etwas fröhlicher und wir spielten unsere alten Spiele. Christel Schauer ging endlich ins Gelobte Land und wünschte sich zum Abschied das Lied: Wahre Freundschaft soll nicht wanken. Sie machte vielleicht ein Getue, versprach jedem, dass sie gleich schreiben würde, wie es in Amerika sei - und niemand glaubte ihr. Dann war sie endlich weg und seitdem wartet jeder auf Post von ihr.
     
    Beim Braun im Garten wachsen ganz dicke,
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