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Lockenkopf 1 - Warum weint man, wenn einem etwas gefällt?

Lockenkopf 1 - Warum weint man, wenn einem etwas gefällt?

Titel: Lockenkopf 1 - Warum weint man, wenn einem etwas gefällt?
Autoren: Ursula Essling
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nichts.
    Ich war schon irgendwie erleichtert, da bummerte Rita gegen die Tür.
    Das hatte Erfolg. Wir hörten schlurfende Schritte und die Tür wurde geöffnet.
    Frau Merkel stand in Kittelschürze und Pantoffeln vor uns. Sie hatte eine lange dürre Nase und weiße Haare auf dem Kinn. Fehlte nur noch die Warze.
    „Guten Tag, Frau Merkel, bitte entschuldigen Sie die Störung, aber wir sind von der Schülerzeitung und führen eine Befragung durch!“ Diesen Satz hatten wir auswendig gelernt und so klang er auch.
    „Hä …?“
    „Ihre Familie gehört doch zu den Gründern von Kattenbach und da …“
    „Hä …?“
    Frau Merkel legte ihre Hand hinter die Ohrmuschel. Da brüllte meine Freundin: „Wir sind von der Schülerzeitung und wollen was über die Geschichte von Kattenbach schreiben!“
    „Was für ‘ne Geschichte?“
    „Von Kattenbach!“
    „Alois …!“
    „Ist was?“ Ein kleiner Mann mit einem Vollmondgesicht stand plötzlich auf der Schwelle.
    „Da sind zwei!“
    „Das sehe ich, bis zwei zählen kann ich noch! Was wollt Ihr?“
    „Guten Tag, Herr Merkel, bitte entschuldigen Sie die Störung. Wir sind von der Schülerzeitung und führen eine Befragung durch.“
    „Zeitung, Befragung …?“
    „Wir möchten gerne ein Interview mit Ihnen machen. Dürfen wir rein kommen?“
    „Ich soll in die Zeitung?“ schnarrte er. „Warum?“
    Jetzt ergriff ich das Wort: „Weil Ihre Familie zu den Gründern von Kattenbach gehört und wir einen Bericht über diese Leute schreiben wollen.“
    Endlich saßen wir im Wohnzimmer, das genau so aussah, wie ich mir das Wohnzimmer bei meiner Handarbeitslehrerin vorgestellt habe. Spitzendeckchen, Nippes und ein Rosshaarsofa. Sie hatten auch viele Fotos an den Wänden. Herrn Merkel als Bahnhofsvorsteher in Uniform, Herr Merkel als Soldat mit Pickelhaube, Herr Merkel als Bräutigam mit Braut. Bei diesem Bild nehme ich an, dass es auch Frau Merkel zeigt. Dann gab es noch Herrn Merkel im Matrosenanzug und einige Fotos, die Herrn Merkel am Bahnhof mit anderen Leuten zeigten. Das waren auch recht alte Bilder. Sie wirkten furchtbar steif und Herr Merkel so liebedienerisch darauf.
    Herr Merkel schrie: „Hol ein paar Plätzchen, Sieglinde!“
    Sieglinde schlurfte in Richtung Küche und kam mit einer Dose zurück. Die war bunt und darauf stand: Feines Gebäck. Sie stellte die Dose vor uns ab und öffnete sie.
    „Nehmt Euch tüchtig was, Kinder, die hat meine Frau selbst gebacken!“
    Das „feine Gebäck“ war nicht nur steinhart, es schmeckte auch verbrannt. Die Krümel, die mir im Hals steckten, trieben mir die Tränen in die Augen.
    „Sehr gut“, lobte Rita. „Vielen Dank Frau Merkel!“
    „Hä …?“
    „Ihr müsst wissen, dass meine Frau schwerhörig ist“, erklärte uns Herr Merkel.
    „Dürfen wir ein Bild von Ihnen und Ihrer Frau machen?“ Rita hatte extra den Fotoapparat von ihrem Bruder entliehen. Sie meinte, so würden wir glaubhafter wirken.
    „Komm her, Sieglinde, die wollen ein Bild von uns machen!“ schrie Herr Merkel. Sie setzten sich steif auf die Kante des Rosshaarsofas. „So, jetzt gucken Sie ganz natürlich, so, ja, ein bisschen mehr in meine Richtung. Ja, das ist gut, prima. Achtung!“ Dann machte es klick, aber das machte nichts, Rita hatte ja keinen Film in der Kamera. Sie war recht großzügig mit ihren Aufnahmen und machte mindestens sechs, von verschiedenen Gesichtspunkten aus, wie sie Merkels erklärte.
    Dann war ich an der Reihe. Ich zückte Block und Bleistift und fragte nach Eltern und Großeltern und nach der Pulverfabrik. Herr Merkel gab mir bereitwillig Auskunft über alles, was ich wissen wollte. Er konnte natürlich nicht soviel wissen wie Opa Walter, weil er so ungefähr zehn Jahre jünger als dieser ist. Aber sein Vater und sein Großvater hatten auch schon bei der Bahn gearbeitet. Je mehr ich Herrn Merkel ansah, um so mehr erinnerte mich sein Gesicht an jemand, den ich auch kannte. Wer war das nur?
    Er holte zwei dicke Fotoalben und fing an zu blättern. Er zeigte uns die Fotos und erzählte uns bei jedem, wer das war. Es war furchtbar langweilig. Die Bilder unterschieden sich kaum von denen an den Wänden. Nur, dass Vater und Großvater Merkel in der Bahnhofsvorsteheruniform oder im Hochzeitsanzug steckten.
    „Das ist meine Tante Rosalinde, sie war eine schöne Frau.“ Das Foto zeigte eine junge Frau mit blonden hochgesteckten Haaren und einem künstlich aufgesetzten Lächeln. Zu meiner Überraschung war die Frau wirklich
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