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Little Miss Undercover - Ein Familienroman

Little Miss Undercover - Ein Familienroman

Titel: Little Miss Undercover - Ein Familienroman
Autoren: Lisa Lutz
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Wählscheibe und ein alter Fernseher. Angesichts derBeleuchtung und spärlichen Möblierung, die an alte Gangsterfilme denken ließ, konnten meine Eltern der Versuchung nicht widerstehen, ihre Kinder stets in diesem kärglichen Raum zu befragen.
    Für mich als größten Unruhestifter der Familie stand das Vernehmungszimmer zu jeder Zeit offen. Im Folgenden einige Beispiele meiner Kellerverhöre. Die Liste ist aber bei weitem nicht vollständig:
    Isabel im Alter von acht Jahren
    Ich sitze auf einem der wackligen Stühle, gefährlich zur Seite geneigt. Albert geht auf und ab. Kaum hat er sich vergewissert, dass mir unbehaglich wird, fängt er an zu sprechen.
    »Isabel, hast du dich gestern Nacht in das Zimmer deines Bruders geschlichen und ihm die Haare geschnitten?«
    »Nein«, sage ich.
    Lange Pause.
    »Bist du dir da ganz sicher? Vielleicht brauchst du nur noch ein bisschen Zeit, um deinem Gedächtnis auf die Sprünge zu helfen.«
    Albert setzt sich an die gegenüberliegende Seite des Tisches und sieht mir tief in die Augen. Ich senke rasch den Blick, versuche aber, keinen Fingerbreit nachzugeben.
    »Ich weiß nichts von einem Haarschnitt«, sage ich.
    Er legt eine kindersichere Schere auf den Tisch.
    »Kommt die dir bekannt vor?«
    »So eine hat doch jeder.«
    »Wir haben sie aber in deinem Zimmer gefunden.«
    »Da will mir jemand was anhängen.«
    Zur Strafe bekam ich eine Woche Hausarrest.
    Isabel im Alter von zwölf Jahren
    Diesmal geht meine Mutter auf und ab, mit einem Wäschekorb unter dem linken Arm. Sie stellt den Korb auf den Tisch und zieht ein zerknittertes Oxford-Hemd heraus, in einemso blassen Rosaton, dass es sich unmöglich um die ursprüngliche Farbe handeln kann.
    »Isabel, was meinst du, was hat dieses Hemd für eine Farbe?«
    »Schwer zu sagen, bei dem Licht.«
    »Rate mal.«
    »Cremeweiß.«
    »Ich finde, es ist rosa. Stimmst du mir zu?«
    »Klar. Rosa.«
    »Jetzt hat dein Bruder fünf rosa Hemden und kein einziges weißes, das er in der Schule anziehen kann.« (Laut Schulordnung sind ausschließlich weiße Hemden als Teil der Uniform zugelassen.)
    »Wie bedauerlich.«
    »Ich glaube, du hast da deine Hand im Spiel, Isabel.«
    »Es war ein Versehen.«
    »Ach ja?«
    »Eine rote Socke. Ist mir schleierhaft, wie ich sie übersehen konnte.«
    »Du bringst mir diese rote Socke in den nächsten zehn Minuten. Wenn nicht, wirst du für fünf neue Hemden aufkommen.«
    Natürlich konnte ich die Socke nicht beibringen, weil es keine rote Socke gab. Dafür gelang es mir innerhalb dieses Zeitfensters, die rote Lebensmittelfarbe unbemerkt aus meinem Zimmer zu schmuggeln und in der Mülltonne unserer Nachbarn zu entsorgen.
    Ich kam für diese Hemden auf.
    Isabel im Alter von vierzehn Jahren
    Inzwischen ist mein Vater zum ständigen Vernehmer erklärt worden. Ich für meinen Teil glaube, dass er seiner Zeit als Polizist nachtrauerte; sich mit mir auseinanderzusetzen, hielt ihn frisch.
    Fünfzehn Minuten vergehen mit Schweigen, er lässt mich schmoren. Aber ich lerne das Spielchen allmählich auch, hebe den Kopf und halte seinem Blick stand.
    »Isabel, hast du die Zeugnisnoten deines Bruders manipuliert?«
    »Nein. Warum sollte ich?«
    »Ich weiß nicht warum. Ich weiß aber, dass du’s getan hast.«
    Er legt das Zeugnis auf den Tisch und schiebt es mir rüber. (Damals waren das noch diese handgeschriebenen Zettel. Man musste sich bloß ein Blankoformular schnappen und einen fähigen Fälscher finden.)
    »Es ist übersät mit deinen Fingerabdrücken.«
    »Du bluffst.« (Ich hatte Handschuhe getragen.)
    »Und wir haben die Handschrift untersuchen lassen.«
    »Und das soll ich dir abkaufen?«
    Albert stöhnt auf und setzt sich mir gegenüber. »Sieh mal, Izzy, wir wissen doch alle, dass du es warst. Wenn du mir verrätst, warum, werden wir dich nicht bestrafen.«
    Falls ich also gestehe, gehe ich straffrei aus. Ganz was Neues. Ich beschließe, mich darauf einzulassen, weil ich nicht die ganze Woche zu Hause festsitzen will. Mit der Antwort lasse ich mir jedoch einen Moment Zeit, als ginge mir das Geständnis nur mühsam über die Lippen.
    »Jeder sollte mal eine Fünf bekommen. Einfach um zu wissen, wie sich das anfühlt.«
    Es dauerte zwar eine ganze Weile, aber irgendwann hatte ich die Versuche satt, König David vom Thron zu stoßen. Es musste einen besseren Weg geben, mein Potential auszuschöpfen. Ich war zweifelsohne ein schwieriges Kind, doch mein wahres Verbrecherleben begann erst, als ich in der achten
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