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Little Miss Undercover - Ein Familienroman

Little Miss Undercover - Ein Familienroman

Titel: Little Miss Undercover - Ein Familienroman
Autoren: Lisa Lutz
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die überraschend kräftige Brünette zu beschwichtigen. Da entschuldigte sie sich und stellte sich ihrerseits als Olivia Montgomery vor; sie mahnte streng, es sei unhöflich und nicht ganz ungefährlich, sich an Frauen heranzuschleichen. Schließlich erklärte sie ihm, was sie zu dieser dilettantischen Pirsch bewogen hatte, und bat ihn um Hilfe. So stellte sich heraus, dass der Mann, der nach wie vor auf der Parkbank tändelte, Ms. Montgomerys Schwager in spe war, die Frau hingegen mitnichten Ms. Montgomerys Schwester Martie.
    Den restlichen Nachmittag schwänzte Albert seinen Job, um Ms. Montgomery bei der Observation eines gewissen Donald Finker mit Rat und Tat zur Seite zu stehen. Was im Dolores Park begonnen hatte, führte sie beide schließlich in einen Irish Pub im Tenderloin-Viertel. Finker hatte von alldem nichts mitbekommen. Olivia sollte diesen Tag im Nachhinein äußerst erfolgreich nennen, ihre Schwester allerdings nicht. EtlicheBusfahrkarten, Taxiquittungen und zwei Filmrollen später war es Olivia und Albert gelungen, Donald in den Armen von drei verschiedenen Frauen zu erwischen (die eine oder andere bezahlte er) und auch dabei, wie er zwei Buchmachern Geld zusteckte. Albert war von Olivias Scharfsinn beeindruckt; er begriff, dass die Unterstützung einer zierlichen, flinken einundzwanzigjährigen Brünetten bei Observationen von unschätzbarem Wert war. Nun wusste er nicht, ob er sie zum Abendessen einladen oder ihr einen Job anbieten sollte. Albert entschied sich für beides.
    Drei Monate später wurde anlässlich einer schlichten Zeremonie in Las Vegas aus Olivia Montgomery Olivia Spellman. Zu ihrer Verblüffung fing Martie den Brautstrauß auf, doch nach dreiunddreißig Jahren ist sie immer noch unverheiratet. Ein Jahr nach der Hochzeit kaufte mein Dad O’Malley das Unternehmen ab und änderte den Namen in Spellman Investigations.
D ER E RSTGEBORENE
    David Spellman wurde ohne Makel geboren. Genau acht Pfund schwer, mit vollem Haar und rosig glatter Haut, gab er unmittelbar nach der Geburt einen kurzen Schrei von sich (um den Arzt hinsichtlich seiner Atmung zu beruhigen), dann verstummte er gleich wieder, vermutlich aus Höflichkeit. Binnen zwei Monaten schlief er sieben Stunden durch, manchmal auch acht oder neun.
    Auch wenn Albert und Olivia ihr erstes Kind naturgemäß als Ausbund an Perfektion betrachteten, wurde ihnen erst zwei Jahre später wirklich bewusst, wie vollkommen David war – als nämlich ich zur Welt kam und Vergleichsmöglichkeiten bot.
    Und David wurde mit zunehmendem Alter immer attraktiver. Auch wenn er keinem Familienmitglied wirklich ähnelt, hat er doch von Mutter und Vater nur die besten Züge geerbt,in Kombination mit einigen anderen, die offensichtlich von Gregory Peck stammen. Selbst als Pubertierender blieb er von Makeln aller Art verschont, abgesehen von dem einen oder anderen blauen Auge, das ihm ein eifersüchtiger Mitschüler verpasste (und das an David sogar noch anziehend wirkte). Ohne sich groß anzustrengen, erzielte er in der Schule Bestnoten, in unserer gesamten Familiengeschichte findet sich kein zweiter akademisch ähnlich Begabter. Als geborener Sportler lehnte er in der Highschool trotzdem jede Kapitänswürde ab – die ihm praktisch jedes Team in jeder Disziplin antrug –, um den in vielen Fällen vorhersehbaren Neidattacken zu entgehen. Dabei trübte nie eine finstere Aura diese überirdische Vollkommenheit. David war für sein junges Alter ungewöhnlich bescheiden. Trotzdem trat ich mit Vorliebe gegen jeden Stuhl, auf dem er saß.
    Die Untaten, die ich an meinem Bruder beging, waren vielfältig. Meist kam ich ungeschoren davon, weil David niemals petzte, aber nicht alles entging dem strengen Blick meiner stets wachsamen Eltern. Sobald ich lesen und schreiben konnte, begann ich meine Schandtaten festzuhalten, einem Ladenverkäufer bei der Inventur nicht unähnlich. Zunächst listete ich die Verbrechen auf, um sie dann mit sachdienlichen Kommentaren zu versehen. Manchmal genügten mir ein paar Stichworte: »08. 12. 1992: Davids Festplatte gelöscht«. Manchmal fügte ich der Liste auch einen detaillierteren Bericht bei, meist in jenen Fällen, in denen ich erwischt wurde. Die Details brauchte ich, um aus meinen Fehlern zu lernen.
D AS V ERNEHMUNGSZIMMER
    So nannten wir es schließlich, dabei handelte es sich bloß um unseren Keller, dessen Umbau nie abgeschlossen wurde. Inventar: eine nackte Glühbirne, ein Tisch, vier Stühle, ein Telefon mit
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