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Die Eheprobe

Die Eheprobe

Titel: Die Eheprobe
Autoren: Melanie Gideon
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Kapitel 2
    Ich starre in den Badezimmerspiegel und frage mich, warum mir bisher niemand gesagt hat, dass aus meinem linken Augenlid eine kleine Kapuze geworden ist. Lange Zeit sah ich jünger aus, als ich bin. Und jetzt, ganz plötzlich, haben sich alle Jahre zusammengerottet, und man sieht mir mein Alter an – vierundvierzig, womöglich älter. Ich hebe die überbordende Haut mit meinen Fingern hoch und wedele damit herum. Wie wär’s mit ein paar Augenlid-Liegestützen?
    Â»Was stimmt denn nicht mit deinem Auge?«
    Peter reckt seinen Kopf ins Badezimmer, und trotz meiner kurzen Irritation, dass man mir nachspioniert, bin ich glücklich, das sommersprossige Gesicht meines Sohnes zu sehen. Mit zwölf sind seine Wünsche immer noch bescheiden und leicht zu erfüllen: Waffeln von Eggo und Boxershorts von Fruit of the Loom – die mit dem Bündchen aus Baumwolle.
    Â»Warum hast du mir das nicht gesagt?«, frage ich ihn.
    Ich bin abhängig von Peter. Wir stehen uns sehr nahe, vor allem in Fragen zur Körperpflege. Wir haben eine Abmachung. Meine Haare fallen in seinen Verantwortungsbereich. Er gibt mir Bescheid, sobald man den Ansatz sieht, damit ich einen Termin bei Lisa, meiner Friseurin, machen kann. Und im Gegenzug bin ich für seinen Körpergeruch verantwortlich. Damit sichergestellt ist, dass er keinen verströmt. Aus irgendeinem Grund sind zwölfjährige Jungs nicht in der Lage, ihre Unterarmausdünstungen wahrzunehmen. Also rennt er morgens an mir vorbei, mit erhobenem Arm, und streckt mir die Achselhöhle entgegen, damit ich eine Prise abkriege. »Ab in die Dusche«, lautet das Kommando fast immer. Ganz selten lüge ich und sage: »Alles bestens.« Ein Junge sollte riechen wie ein Junge.
    Â»Dir was nicht gesagt?«
    Â»Das mit meinem Augenlid.«
    Â»Was denn – dass es über dein Auge hängt?«
    Ich stöhne.
    Â»Nur ein kleines bisschen.«
    Ich blicke wieder in den Spiegel. »Warum hast du das nie erwähnt?«
    Â»Tja, warum hast du mir nicht gesagt, dass Peter ein Slangausdruck für Penis ist?«
    Â»Das stimmt nicht!«
    Â»Doch, offensichtlich schon. Ein Peter und zwei Bälle ?«
    Â»Ich schwöre dir, dass ich diesen Ausdruck noch nie gehört habe.«
    Â»Tja, jetzt verstehst du bestimmt, warum ich meinen Vornamen in Pedro umgewandelt habe.«
    Â»Was ist aus Frost geworden?«
    Â»Das war im Februar. Als wir die Lektion über Robert Frost bearbeitet haben.«
    Â»Also trennen sich jetzt eure Wege, und du heißt von nun an Pedro?«, frage ich.
    In der Middle School, so habe ich mir sagen lassen, geht es in der Hauptsache ums Experimentieren mit der eigenen Identität. Als Eltern sind wir dazu aufgefordert, unsere Kinder in unterschiedliche Personen schlüpfen zu lassen, aber langsam wird es schwierig, am Ball zu bleiben. Heute Frost, morgen Pedro. Gott sei Dank ist Peter kein Emo, oder heißt es Imo? Ich habe keine Ahnung, wofür Emo/Imo steht – ich weiß nur, dass es so etwas wie eine Teilmenge des Gruftis ist, eine taffe Göre, die sich die Haare schwarz färbt und Kajal trägt, und nein, damit hat Peter nichts am Hut. Peter ist ein Romantiker.
    Â»Also gut«, sage ich, »aber hast du mal Peder in Betracht gezogen? Das ist die norwegische Variante von Peter. Deine Freunde könnten später irgendwas auf Peder reimen, so was wie ›bis speder, Peder‹ . Auf Pedro reimt sich rein gar nichts. Haben wir irgendwo Tesafilm?«
    Ich will mein Augenlid festkleben – um die Wirkung zu sehen, wenn ich den Schaden beheben ließe.
    Â» Retro-Pedro «, erwidert Peter, »und mir gefällt dein Schlupflid. Damit siehst du wie ein Hund aus.«
    Mir fällt die Kinnlade herunter. Weißt du was? Das bringt mich in Rage.
    Â»Nein, wie Jampo«, korrigiert er sich.
    Peter spielt auf unseren zwei Jahre alten Mischling an, halb tibetanischer Spaniel, halb Gott-weiß-was: ein fünfeinhalb Kilo schwerer, neurotischer Hunde-Mussolini, der seine eigene Kacke frisst. Abstoßend, jawohl, aber wiederum sehr praktisch, wenn man genauer darüber nachdenkt. Man muss nie diese Plastiksäckchen mit sich herumtragen.
    Â»Lass los, Jampo, du kleiner Scheißkerl!«, tönt Zoes Geschrei durchs Haus.
    Wir können dabei zuhören, wie der Hund manisch auf dem Holzfußboden hin und her rennt und dabei höchstwahrscheinlich eine Klopapierrolle
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