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Lisa geht zum Teufel (German Edition)

Lisa geht zum Teufel (German Edition)

Titel: Lisa geht zum Teufel (German Edition)
Autoren: Tessa Hennig
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gelegentliche Demütigungen oder Aggressionen. Wie gut hatte es dagegen Roberta, seine Katze, die in ihrem früheren Leben wohl ein Hund gewesen sein musste, so treu und anhänglich, wie sie ihm auf Schritt und Tritt folgte. Sie wurde geduldet. Gelegentlich stand sogar eine Schüssel Milch für sie parat, vermutlich, weil Roberta schön war und nicht wie ein Streuner daherkam. Ihre gelben Augen leuchteten im Licht der Morgensonne. Ihr Fell war seidig. Sie sah gepflegt aus, seine kleine Tigerkatze. Im Gegensatz zu ihr war aus ihm ein Straßenköter mit zottigem Fell, schulterlangem und von der Sonne ausgeblichenem Haar, geworden. Sicher, ein Billigshampoo könnte er sich gelegentlich leisten, sofern er einige Münzen am Strand fand oder ihm ein Tierfreund in der Fußgängerzone der Altstadt ein bisschen Kleingeld zuwarf, wenn Roberta mit Bettelblick auf seinem Schoß saß. Aber was nützte einem das Shampoo, wenn man sich an den öffentlichen Stränden damit nicht die Haare waschen durfte? Ausgerechnet jetzt fiel ihm beim Durchkämmen des Abfalls ein ausgemusterter Duschkopf in die Hände. Rafael blickte unwillkürlich gen Himmel und bedankte sich für die ihm fortwährend begegnende göttliche Ironie. Ein paar Schichten aus Abfalltüten und sperrigem Verpackungsmaterial weiter meinte der Container es aber doch noch gut mit ihnen. Eine gerade abgelaufene Fischkonserve lugte heraus. Wenigstens war nun Roberta gut versorgt. Rafael erinnerte sich daran, dass, dem Abfall nach zu urteilen, in diesem Haushalt häufig Gerichte von einem Asia-Lieferservice bestellt, aber nie aufgegessen wurden. Hoffentlich hatten die Anwohner ihre Gewohnheiten nicht geändert. Mittlerweile mit dem Oberkörper ganz im Container abgetaucht, klang das Rascheln unter Styroporverpackungen verdächtig nach der Papiertüte des Lieferservice, deren Inhalt sich als Festmahl entpuppte. Rafael hatte nun die Wahl zwischen vegetarischem Thaicurry und Hähnchen mit süßsaurer Soße. Am besten nahm er beides. Zeit für grundlegende Menü-Überlegungen blieb sowieso nicht. Das Geräusch einer ächzenden Hydraulik und eines laufenden Motors deutete darauf hin, dass die Müllabfuhr nicht mehr weit war.
    »Einfach widerlich«, vernahm Rafael von der anderen Seite des Lattenzauns und blickte in Richtung einer blondierten Deutschen, die damit beschäftigt war, Heckenrosen zu schneiden. Rafael erinnerte sich daran, dass er noch vor einem Jahr versucht hatte, sich ihr gegenüber zu rechtfertigen.
    »Ich hab seit Tagen nichts mehr gegessen«, hatte er ihr bei ihrer ersten Begegnung gesagt.
    »Ihren eisernen Willen möchte ich haben«, hatte sie daraufhin entgegnet.
    Wie »lustig« war das denn! Wer weiß, am Ende färbte billiger Seifenoper-Humor ja irgendwann ab, wenn man so oft wie die Heckenrosen-Blondine vormittags vor der Glotze hockte – ihr Heimkino auf einem großen Flachbildschirm war auch noch auf der Straße zu sehen und vor allem zu hören. Ernst konnte sie das ja wohl kaum gemeint haben, aber auf eine Demütigung mehr oder weniger kam es auch schon nicht mehr an.
    »Der ist doch noch ganz jung, aber wahrscheinlich hat er keine Lust zu arbeiten«, sagte nun ihr Mann, den seine Frau dazu verdonnert hatte, die abgeschnittenen Rosenstiele aufzuklauben und in einen Müllsack zu stopfen.
    Arbeiten in Spanien? Ein Witz! Das Land lag am Boden. Wer würde schon einen Mann Ende fünfzig einstellen? Warum überhaupt noch arbeiten? Für einen korrupten Staat, der sich an »Europa« verhoben hatte? Wut stieg in ihm auf. Wahrscheinlich wusste der Rosenzüchter noch nicht einmal, was Arbeit war. Ein Mittdreißiger konnte dieses Anwesen nur geerbt haben. Rafael wusste um die Gesetze des Kapitalmarkts. Es kam nur noch darauf an, andere Menschen abzuzocken. Sein alter Job in der Bank kam ihm in den Sinn! Schnell einen Fonds auflegen und gierige Kundschaft mit attraktiven Anlagemöglichkeiten locken. Leute wie diese Rosenpflücker bissen sicher an. Es ging im Leben nur noch um Geld. Die Gier danach war wie ein Virus, gegen den kaum jemand gefeit war. Diese Gier hatte sein Leben zerstört. Und seine Ehe. Diese Gier hatte ihm seine Tochter genommen. Diese Gier war dafür verantwortlich, dass er jetzt nach Essensresten in Mülltonnen wühlte. Sie war das Übel der Welt, das im Kern für alle Probleme, über die Menschen klagten, verantwortlich war. Nur traute sich niemand, sie beim Namen zu nennen, weil sie in jedem schlummerte und bei vielen Leuten jedwedes Handeln
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