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Lippenstift statt Treppenlift

Lippenstift statt Treppenlift

Titel: Lippenstift statt Treppenlift
Autoren: Johanna Urban
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Größe besteht der Griff nicht mehr aus dünner Kordel, sondern aus einer dicken, sehr festen Schnur.
    Diese Monster-Geschenktüten füllt Mama randvoll mit Schokolade, eine ganze für jedes Kind. Nicht mal Kinder mögen derart viel Schokolade essen. Wir versuchen dann immer, einen Teil zu Kuchenglasuren etc. zu verarbeiten, doch müsste man wöchentlich mehrere Kuchen backen, um diese Schokomengen aufzubrauchen, und das schaffen wir nicht. Wir verschenken viel. Trotzdem: Meist ist das Haus noch voll von Osterhasen, wenn Omas Nikoläuse ankommen. Zum Teil werfen wir das Zeug einfach weg, weil es schlecht geworden ist. Zwischendurch bekommen die Kinder natürlich auch noch Süßigkeiten, und zwar bei jedem Besuch bei ihrer Oma.
    Bei Ömi ist es fast ebenso schlimm – sie ist offenbar der beste Abnehmer aller Produkte von Haribo in ihrer ganzen Nachbarschaft. Überall im Haus finden sich Schubladen und Schalen voller Tüten mit Gummibärchen und sauren Schlangen und Colafläschchen und solchem Zeug – für die Kinder. Mit den beiden Omas darüber zu sprechen, dass zu viel Zucker für Kinder ungesund ist, haben wir mehrfach versucht und schließlich aufgegeben, weil sie uns einfach komplett ignorierten. Letztlich hat der Überfluss den Kindern allerdings überhaupt nicht geschadet, sondern eher genutzt: Süßes hängt ihnen total zum Hals heraus, sie naschen fast nie, haben beide gesunde Zähne und sind absolut schlank.
    Weil meine Mutter selbst nicht mehr so mobil ist, schenkt sie den Enkeln zum Geburtstag Geld, und zwar je zweihundert Euro. In letzter Zeit vergisst sie aber immer, wie viel sie üblicherweise überreicht, und sagt solche Dinge wie: »Ida bekommt noch ihre vierhundert Euro von mir, wie jedes Jahr zum Geburtstag!«
    »Zweihundert Euro, Mama. Das ist mehr als genug.«
    »Also, ich bin ganz sicher, dass jedes Kind immer vierhundert Euro von mir kriegt. Oder waren es fünfhundert? Nun erinnere ich mich doch nicht mehr so genau …«
    »Es waren zweihundert. Und das reicht wirklich völlig«, antworte ich dann. Meistens verwende ich den Großteil des Geldes für anfallende Kleidungs- und Schuhkäufe für die Kinder. Zum Glück wachsen sie ständig aus allem raus, sodass das Geld gut genutzt werden kann.
    Wir haben ohnehin schon zu viele Spielsachen. Ömi nämlich kann noch sehr gut shoppen gehen, daher entwickelt sich das Weihnachtsfest in unserer Familie zu einer beispiellosen Konsumschlacht. Linus, der sehr ordentlich ist für ein Kind seines Alters, ist danach manchmal regelrecht deprimiert, weil er nicht weiß, wie er all die neuen Sachen in seinem Zimmer unterbringen soll.
    Das Geld für die vielen Geschenke spart Ömi sich vom Mund ab, zumindest dachten wir das lange Zeit, denn Ömi sagte immer, sie habe so gut wie keine Rente. Ihr ganzes Vermögen bestünde aus ihrem Haus, aber ansonsten wäre da nicht so viel, obwohl sie ihr Leben lang fleißig gearbeitet hat.
    »Aber als ich jünger war, zahlte man nicht automatisch in eine Rentenkasse ein«, sagte sie immer. Ihr verstorbener Mann und sie wären sich damals einig darüber gewesen, dass Rentenkassen nur etwas für arme Leute seien und sie beide so etwas nicht nötig hätten.
    »Andere Leute in meiner Lage würden Sozialhilfe beantragen. Anspruch darauf hätte ich allemal«, sagte Ömi manchmal – was ich bei einer Besitzerin einer Villa mit riesigem Grundstück sehr stark bezweifle. »Aber natürlich würde ich niemals Sozialhilfe beantragen. Das gehört sich nun wirklich nicht!«, erklärte sie.
    Wie es genau um ihre Finanzen steht, wussten wir natürlich nicht. Sicherheitshalber bezahlte mein Mann Andreas aber so allerhand für sie. Zum Beispiel alle Renovierungs- und Instandhaltungsarbeiten am Haus. Und die alljährliche Heizölrechnung und die Autoversicherung (und Kfz-Steuer) und neulich einen Satz neuer Gartenstühle und eine Gartenliege (alles Akazienholz und von einem renommierten Gartenbedarfshersteller). Seit einiger Zeit bezahlt er auch einen Studenten aus der Nachbarschaft, der regelmäßig zum Rasenmähen und Heckenschneiden und Kaminholzstapeln vorbeikommt, weil Andreas das alles allein einfach nicht mehr schafft.
    Vor etwa einem Jahr war es dann so weit, dass Ömi bei ihren Bankangelegenheiten einfach nicht mehr durchblickte: Wenn mal eine Rechnung ins Haus kam, dann wusste sie plötzlich nicht mehr so recht, was sie damit anstellen sollte. Deshalb nahm Andreas die Sache in die Hand und kümmerte sich fortan um Ömis Finanzen.
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