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Linksaufsteher: Ein Montagsroman

Linksaufsteher: Ein Montagsroman

Titel: Linksaufsteher: Ein Montagsroman
Autoren: Matthias Sachau
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    »Na gut, ich gebe es ja zu, ich habe montags immer fürchterlich schlechte Laune.«  
    »Sag ich doch.«  
    »Ich träume Sonntagnacht immer schlecht und wache viel zu früh auf. Gestern Nacht bin ich zum Beispiel im Traum von zwei riesigen Felsbrocken die Torstraße hinuntergejagt worden. Und wenn ich mich richtig erinnere, haben die Felsbrocken dabei sogar gejodelt und …«  
    »Sie träumen immer nur Sonntagnacht schlecht? Sind Sie neurotisch?«  
    »Nein.«  
    »Na sicher sind Sie das. Sie haben irgendwann mal Sonntagnacht schlecht geträumt, und das haben Sie sich gemerkt, und jetzt sitzt es so fest in Ihrem Hirn, dass Sie immer schon drauf warten. Und dann läuft das ganz von selbst.«  
    »Pah, Küchenpsychologie.«  
    »Und was haben Sie für eine Erklärung?«  
    »Okay, wenn Sie es genau wissen wollen: Ich habe Angst vor meinem Job.«  
    »Oh, sind Sie Großwildjäger? Nein, warten Sie, muss noch schlimmer sein. Müllmann?«  
    »Ich bin Studiosprecher. Ich muss die ganze Woche in muffigen Studios sitzen und Werbespots sprechen. Das macht mich …«  
    »Wie? Das macht Ihnen Angst?«  
    »Ist ja klar, dass eine beinahe komplett nichtsnutzige Bürotrine das nicht versteht.«  
    »Wissen Sie was? Klagen Sie Ihr Leid doch einfach der Verkehrsampel da drüben, die kann gut zuhören. Ich habe jetzt einen wichtigen Termin. Wiedersehen.«  
    »Wiedersehen … Warum schauen Sie mich eigentlich die ganze Zeit so komisch an?«  
    »Vergessen Sie es einfach.«  
    ***  
    »Yay! This Beer is funky, tricky & alive.«  
    Ich spreche den Satz jetzt zum gefühlt hundertsten Mal, und noch immer zieht sich mein Magen spätestens bei »funky« wie eine zu Tode erschrockene Weinbergschnecke zusammen. Wie oft noch? Wenn es nach mir ginge, wäre die Aufnahmesession schon längst vorbei.  
    Was die vier Männer hinter der teuflischen schalldichten Glasscheibe im Regieraum reden, kann ich nicht hören, weil sie die Gegensprechanlage nicht eingeschaltet haben. Wie ich das hasse. Ich muss hilflos zugucken, wie sie über mich herziehen. Klar sind sie wieder nicht zufrieden. Herr Böshuber vom Marketing der Pinklbräu AG schüttelt langsam und traurig seinen mächtigen Kopf und redet auf Elvin und Adrian ein. Die beiden nicken verständnisvoll dazu und zeigen immer noch mit keiner Regung, dass sie Herrn Böshuber vielleicht gerne durch die Scheibe werfen würden, oder so was Ähnliches.  
    Elvin und Adrian sind beide Irgendwas-Director bei der Werbeagentur Forza Idee und meine wichtigsten Auftraggeber. Leider. Immer wenn ich sie sehe, zähle ich sofort im Stillen auf, was im Leben meiner Wenigkeit, Oliver Krachowitzer, von alten Freunden »Krach« genannt, alles schiefgelaufen ist. Oder ich mache es mir einfach und sage, das Einzige, was nicht schiefgelaufen ist, ist, dass ich keine Geldsorgen mehr habe. Der ganze Rest ist, Entschuldigung, einfach nur für den Arsch.  
    Dieser Job wird mich irgendwann wahnsinnig machen. Früher war ich noch anders unterwegs. Da war ich immerhin die Synchronstimme von Ernie aus der Sesamstraße. Wenn man erst mal akzeptiert hat, dass die eigene Stimme wie Ernie und nicht wie George Clooney klingt, ist das ein Traumjob. Das Geld allein hat zwar nicht ganz zum Leben gereicht, aber immerhin war ich eine der Top-100-Stimmen im deutschen Showbiz. Ich hätte das gerne für immer machen können, aber irgendwann bin ich rausgeflogen. Lange Geschichte. Hatte mit einer Stecknadel, Sex und notorischen Lachkrämpfen bei einem bestimmten Lied zu tun. Danach lief noch einiges andere schief. Eine Zeitlang war ich die deutsche Stimme des einen Chirurgen bei »Dr. House«, in dessen Operationen Hugh Laurie immer reinplatzt, weil er plötzlich eine neue Erkenntnis zu dem Patienten hat. Aber als die Produzenten merkten, dass der Mann in jeder Folge immer nur »Verschwinden Sie, House, Sie sind nicht steril!« sagt, haben sie einfach die Tonspur aus einer Folge genommen und auch für alle anderen verwendet.  
    Danach war ich ein paar Monate arbeitslos und habe Stimmbildungskurse gemacht. Weil ich aber nicht wirklich große Lust darauf hatte, habe ich nicht an meiner Stimme gearbeitet, sondern mir die Zeit damit vertrieben, alberne neue Stimmen zu erfinden. Der Stimmbildungslehrer hat mich zwar gehasst, aber dafür wurde ich bald zum Star in meiner WG -Küche. Wir hatten schon überlegt, ob wir für meine abendlichen Shows Eintritt nehmen sollen, aber dann haben sich Elvin und Adrian auf mich
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