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Linksaufsteher: Ein Montagsroman

Linksaufsteher: Ein Montagsroman

Titel: Linksaufsteher: Ein Montagsroman
Autoren: Matthias Sachau
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gestürzt. Ihre Werbeagentur Forza Idee sitzt im Haus neben meiner alten WG , und die beiden waren dauernd ungebetene Gäste in unserer Küche. Nachdem sie meinen improvisierten Kram ein paar Mal gesehen hatten, schlossen sie mit mir einen Pauschalvertrag: Ich wurde für alle männlichen Stimmen in Forza-Idee-Radiospots gebucht und erklärte mich im Gegenzug dafür bereit, ein etwas niedrigeres Stundenhonorar als das für Studiosprecher übliche zu akzeptieren.  
    Meine künstlichen Stimmen kamen so gut an, dass Radiospots bald zum Kerngeschäft von Forza Idee wurden. Und dann wurden auch noch andere Agenturen auf mich aufmerksam und schlossen ähnliche Verträge mit mir ab. Das Ergebnis ist, dass ich heute fast 80 Prozent aller männlichen Stimmen in Radiospots spreche, die in Berlin laufen. Hört nur mal hin. Der alte Mann mit Krächzstimme aus der Hustenbonbonwerbung, der kreischende kleine Junge, der ins Flupsiland-Kinderparadies will, der Partyhänger, der auf Jägermeister schwört – das bin alles ich. Und hinter jedem Spot stehen etliche quälende Stunden, die ich mit Elvin, Adrian und anderen üblen Werbespackos im Studio verbracht habe.  
    Am Anfang fand ich es noch gut, weil ich zum ersten Mal in meinem Leben Geld hatte, aber jetzt sehe ich, dass das alles eine finstere, böse, verlauste Sackgasse ist. Und ich schwöre, auch wenn ich es versucht und nicht das große Los als Starschauspieler und -sänger gezogen hätte, alles wäre besser als das. Meine Arbeitstage sind so unerträglich wie Eisduschen an Wintermorgen. Kein Geld der Welt kann das aufwiegen. Es fängt damit an, dass ich dauernd diesen funky, tricky Mist sprechen muss, und hört noch lange nicht damit auf, dass ich Pickel bekomme, wenn ich nur die Stimmen von Elvin, Adrian und den ganzen anderen Agenturheinis höre. Abgesehen davon, dass sie dauernd Wörter benutzen, für die man meines Erachtens sofort im Höllenschlund verschwinden müsste, sprechen sie mit so ekeligen Schleimstimmen, dass man die Smileys um ihre Sätze herum mithören kann. Sogar über die Gegensprechanlage. Jetzt zum Beispiel.  

    »
Danke, Oliver, das war schon sehr gut.
«  

    »
Ja, auf jeden Fall schon semi-smashing.
«  
    »Oh, wie mich das freut! Funktioniert übrigens richtig toll, die Gegensprechanlage, wenn man sie einschaltet.«  

    »
Du meinst das Talkback? Okay, wir achten drauf, dass du hier noch mehr includet bist.
«  
    »Danke auch.«  
    Na ja, und irgendwie kann ich mit dem ganzen Geld auch gar nichts anfangen. Erst habe ich versucht, mir Sachen zu kaufen, die ich mir vorher nicht leisten konnte, aber die Gitarre, die Beatles- DVD -Box, das ferngesteuerte Flugzeug mit Benzinmotor und der ganze andere teure Kram steht nur rum und staubt ein, weil ich keine Zeit habe. Mehr Geld für Klamotten und Essen auszugeben hat auch nicht geklappt, weil sich herausstellte, dass ich mich am Ende immer doch mit dem Zeug, das ich gewohnt war, am besten gefühlt habe.  
    Als Nächstes habe ich mein gemütliches WG -Zimmer verlassen und bin in eine teure Zwei-Zimmer-Wohnküche-Südbalkon-Altbauwohnung in der Linienstraße gezogen. Der größte Fehler meines Lebens, das war schon nach wenigen Tagen klar. Keine Leute mehr um mich herum, keine Überraschungen, das Bewusstsein, dass jeder Gegenstand in meiner Wohnung dort steht, wo er gerade steht, weil ich und niemand sonst ihn dort hingestellt habe, das ist kaum auszuhalten. Und unsere alte WG -Band, die nicht halb so schlecht war, wie ich damals immer getan habe, fehlt mir auch. Denn, so viel weiß ich inzwischen über mich, ein Leben, in dem ich nicht wenigstens ab und zu mal auf der Bühne stehen kann, tut mir nicht gut.  
    Noch mehr als WG und Band vermisse ich meine Exfreundin Julia. Wir haben uns zwar dauernd aus den blödesten Anlässen in die Haare gekriegt, aber selbst das war Gold gegen die Stille in meinem luxuriösen Zwei-Zimmer-Grab.  
    Das Einzige, was noch schlimmer ist als die Stille, sind die Stimmen von Elvin und Adrian.  

    »
Und jetzt pass auf, Oliver, wir möchten, dass du es noch mal sprichst …
«  
    »Hatte ich mir fast gedacht.«  

    »
 … und dabei deinen Tonfall einen kleinen Tick mehr ins Beckenbauereske schraubst, außerdem …
«  

    Um meine Tage besser zu überstehen, habe ich mir abgewöhnt, überhaupt noch zuzuhören, wenn die Jungs mir Regieanweisungen geben. Ich spreche meinen Text einfach immer wieder runter, ändere den Tonfall jedes Mal ein klein wenig in eine
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