Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Lindenallee

Lindenallee

Titel: Lindenallee
Autoren: Katrin Rohde
Vom Netzwerk:
wundervoller Ort zum Spielen und Träumen.
    Vor langer Zeit war dies der einzige Zuweg aus Richtung Braunschweig zum Rittergut gewesen. Darauf hatten sich Ritter, Kutschen, Fußvolk und Gaukler getummelt . Welch eindrucksvolle Pracht die Bäume auf die Menschen ausgeübt haben müssen, die diesen Weg nutzten!
    Wann die neue kopfsteingepflasterte Straße gebaut wurde, weiß ich nicht mehr. Es hatte zur Folge, dass in der Lindenallee mehr Ruhe einkehrte, denn die neue Straße führte Menschen und Fuhrwerke um sie herum und an dem Rittergut vorbei, durch das Dorf. Vielleicht hängt es auch damit zusammen, dass das alte Rittergut an Bedeutung verlor. Die Straße führte nicht mehr darauf zu, sondern nur noch daran vorbei. Ritter habe ich jedenfalls dort nie gesehen, es wurde aber viel über die verblichene, große Zeit des alten Ritterordens im Dorf erzählt. Als Kind hat mich das nie sonderlich interessiert, so dass ich vieles vergessen habe. Heute würde ich sagen, schade eigentlich.
    Nun, die neue Straße sorgte dafür, dass es in der alten Lindenallee wunderbar ruhig wurde, da sich nur noch Reiter, Fußgänger, gelegentlich Radfahrer und wir Kinder uns dort aufhielten.
    Im Sommer fuhr der Wind durch die Blätter der hohen Linden. An das Geräusch kann ich mich heute noch sehr gut erinnern. Im Winter umfing die Allee eine ganz eigene Stille, der weiße Schnee verschluckte jedes Geräusch. Ein wunderbarer Ort für Kinderträume und -spiele.
    Am liebsten spielten Heinz und ich Ritter. Eigentlich hätte ich das Burgfräulein sein müssen, aber das erschien mir zu langweilig. Ich wollte Abenteuer erleben! Also ritten wir, mit viel Fantasie, auf unseren Schlachtrössern von einem Kreuzzug kommend, durch die Allee auf das Rittergut zu. Glorreich kehrten wir heim, hatten Schätze unvorstellbaren Ausmaßes bei uns, die Bevölkerung jubelte uns zu. Wir waren Kinder, es war herrlich der Fantasie freien Lauf zu lassen. Wir lebten in unserer Welt, eine zufriedene kleine Welt.
    Eines Tages gab es eine große Neuigkeit bei uns im Dorf: eine Frau Stein zog mit ihrem Sohn Friedrich zur Untermiete bei Rudlofs ein. Noch bevor wir Friedrich kennenlernten, wussten wir, dass er keinen Vater hatte.
    Nun, er hatte sicherlich einen, aber der sollte angeblich gefallen sein und zwar im ersten Weltkrieg. Rein rechnerisch ging das gar nicht, denn der erste Weltkrieg war 1918 zu Ende, Friedrich war drei Jahre älter als ich, also 1922 geboren! Es war ein Skandal, eine unverheiratete Frau mit einem unehelichen Kind. Im Laufe der Zeit wurde die Geschichte im Dorf dahingehend verändert, dass der vermeintliche Vater erst viel später an den Folgen einer Kriegsverletzung gestorben war. Frau Stein wurde somit zur Witwe. Dieser Umstand ließ die Bewohner von Lucklum ruhiger schlafen. Ich habe das früher nicht verstanden, erst als ich älter wurde. Glücklicherweise kümmert sich heutzutage niemand mehr darum, ob eine Frau unverheiratet ein Kind hat. Es waren damals eben andere Zeiten. Und sehen Sie, früher war eben doch nicht alles besser.
    Ich traf Friedrich Stein das erste Mal im Dorfladen von Frau Hübner. Vielleicht kennen Sie so etwas nicht mehr, aber früher gab es diese oft in den Dörfern. Dort konnte man die Sachen kaufen, die nicht von den Bauernhöfen kamen. Denken Sie nur einmal an Seife, Waschmittel oder einfache Dinge, wie einen Kamm. Die Waren kamen aus Braunschweig. Erst mit dem Pferdekarren, später mit dem Automobil.
    Dort stand nun Friedrich mit seiner Mutter. Frau Stein war eine auffallend schöne Frau. Die Haare perfekt frisiert und ihre Kleidung sah gepflegt und modern aus. Friedrich stand neben ihr und blickte sich im Laden um. Er sah seiner Mutter sehr ähnlich, hochaufgeschossen für seine fünfzehn Jahre, die dunklen Haare fielen ihm ins Gesicht. Als mein Bruder und ich den Laden betraten, um Besorgungen für unsere Mutter einzuholen, machte er eine schnelle Kopfbewegung, um die Haare aus dem Gesicht zu schleudern. Ich blieb direkt vor ihm stehen und blickte in die schönsten grünen Augen, die ich je gesehen hatte. Mir stockte der Atmen: ich versank darin, wie man in einer hohen grünen Wiese versinkt, in der die Bienen umherschwirren und in die bunten Blüten sinken. Man liegt auf dem Rücken und sieht in den blauen Himmel, fühlt sich glücklich und gelöst. Genauso ein Gefühl hatte ich, als ich ihm gegenüber stand.
    Ich war zwölf Jahre alt, mich hatten bislang Jungen nicht interessiert und ich glaube auch nicht, dass
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher