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Lieder von Sternen und Schatten

Lieder von Sternen und Schatten

Titel: Lieder von Sternen und Schatten
Autoren: George R. R. Martin
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verwandelt, und selbst die Sterne schienen den Ruhm des bleichen Kindes hinauszurufen, denn das Sternbild des Schwertes stand hoch am Zenit, und der Soldat griff von dort, wo er am Horizont stand, zu ihm hinauf.
    »Heute nacht werden Sie ohne Ihren Mantel auf Wache gehen«, sagte der Proktor zu DaHan, als er wieder auf ihn hinabblickte. »Und sollte der Nordwind wehen und Ihnen die Kälte zusetzen, dann werden Sie über den Schmerz jubeln, denn er wird ein Zeichen dafür sein, daß Sie sich Ihrem Proktor und Ihrem Gott unterwerfen. Während Ihr Fleisch in bitterer Betäubung erstarrt, muß die Flamme in Ihrem Herzen heißer lodern.«
    »Ja, mein Proktor«, antwortete DaHan. Er stand auf, nahm seinen Nachtmantel ab und reichte ihn dem anderen. Wyatt erteilte ihm den Hieb des Segens.
    Auf dem Wandschirm in seiner dunklen Unterkunft lief das auf Band genommene Drama in seiner vertrauten Folge ab, aber neKrol, der mit halbgeschlossenen Augen in einem großen, gepolsterten Liegesessel lag, achtete kaum darauf. Die Bittere und zwei der anderen verbannten Jaenshi saßen am Boden, die goldenen Augen unverwandt auf das Schauspiel von Menschen gerichtet, die einander in den Turmstädten von ai-Emerel jagten und beschossen; sie waren zunehmend von Neugier auf andere Welten und andere Arten des Lebens erfaßt worden. Es war alles ganz seltsam, dachte neKrol; die Wasserfall-Leute und die anderen in Clans lebenden Jaenshi hatten nie ein solches Interesse bekundet. Er erinnerte sich an die erste Zeit, vor dem Erscheinen der Stahlengel in ihrem uralten und bald für die Demontage vorgesehenen Sternenschiff, als er vor den Jaenshi-Sprechern alle möglichen Handelsgüter aufgebaut hatte: leuchtende Ballen Glitzerseide von Avalen, Glühsteinschmuck von Hoch-Kavaalan, Messer aus legiertem Dural, Solargeneratoren, Stahl-Energiearmbrüste, Bücher von einem Dutzend Welten, Medizin und Weine – er hatte von allem ein wenig mitgebracht. Die Sprecher nahmen ab und zu etwas davon, aber nie mit Begeisterung; das einzige Angebot, das sie in Erregung versetzte, war Salz.
    Erst als die Frühlingsregenfälle kamen und die Bittere ihm Fragen zu stellen begann, begriff neKrol plötzlich, wie selten jemand von den Jaenshi-Clans ihn etwas gefragt hatte. Vielleicht erstickten ihre Gesellschaftsstruktur und ihre Religion ihre natürlich intellektuelle Neugier. Die Exilanten waren gewiß eifrig genug, vor allem die Bittere. neKrol konnte in der letzten Zeit nur einen kleinen Teil ihrer Fragen beantworten, und selbst dann fand sie immer wieder neue, die ihn in Bedrängnis brachten. Er fing an, sich über das Ausmaß seiner eigenen Unwissenheit zu entsetzen.
    Aber der Bitteren erging es nicht anders; im Gegensatz zu den Clan-Jaenshi – spielte die Religion eine derart große Rolle? – beantwortete sie auch Fragen, und neKrol hatte versucht, sie über viele Dinge auszuforschen, die ihn beschäftigten. Aber die meiste Zeit blinzelte sie nur verwundert und verlegte sich selbst wieder aufs Fragen.
    »Es gibt keine Geschichte über unsere Götter«, sagte sie einmal zu ihm, als er versuchte, etwas über die Mythen der Jaenshi zu erfahren. »Was für Geschichten sollten das sein? Die Götter leben in den Betpyramiden, Arik, und wir beten zu ihnen, und sie wachen über uns und erhellen unser Leben. Sie springen nicht herum und kämpfen und zerschmettern einander, wie eure Götter es zu tun scheinen.«
    »Aber ihr habt einmal andere Götter gehabt, bevor ihr begonnen habt, die Pyramiden anzubeten«, wandte neKrol ein. »Eben jene, die eure Schnitzer für mich hergestellt haben.« Er war sogar so weit gegangen, eine seiner Kisten auszupacken und ihr die Figuren zu zeigen, obwohl sie sich doch gewiß erinnerte, da die Leute der Pyramide im Ring-aus-Stein mit zu den begabtesten Künstlern gehört hatten.
    Aber die Bittere glättete nur ihr Fell und schüttelte den Kopf.
    »Ich war zu jung, um Schnitzerin zu sein, so daß man mich vielleicht nicht eingeweiht hat«, sagte sie. »Wir alle wissen das, was wir wissen müssen, aber nur die Schnitzer müssen diese Figuren schaffen, also wissen vielleicht nur sie die Geschichten über diese alten Götter.«
    Ein andermal hatte er sie nach den Pyramiden gefragt und noch weniger erfahren.
    »Bauen?« hatte sie gesagt. »Wir haben sie nicht gebaut, Arik. Sie sind immer dagewesen, wie die Felsen und die Bäume.« Doch dann hatte sie mit den Lidern gezuckt. »Aber sie sind nicht wie die Felsen und die Bäume, nicht wahr?« Und
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