Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Lied aus der Vergangenheit

Lied aus der Vergangenheit

Titel: Lied aus der Vergangenheit
Autoren: A Forna
Vom Netzwerk:
Pflichten; am Freitag nahm er seinen Platz in der zweiten Reihe in der Moschee ein. Alle zwei Wochen einen freien Tag. Einmal im Monat ging er seine Frau besuchen. Obwohl sie schon seit Langem getrennte Wege gingen, hatte er erst letztes Jahr ein neues Dach und Fensterrahmen bezahlt. Sie tranken Kaffee und unterhielten sich über ihre Enkelkinder.
    Bevor er ging, kehrte Babagaleh mit einem Tablett zurück, auf dem sich diesmal eine Thermoskanne Tee, ein Fula-Brot, Margarine, zwei hart gekochte Eier befanden. Er schenkte mir eine Tasse Tee ein und löffelte Zucker hinein. Wie alle seine Stammesleute hält er an dem Glauben fest, Zucker spende Kraft.
    Er schritt die Breitseite des Zimmers ab und zog die Vorhänge gegen die kommende Hitze ein Stück zu, ging dann, ohne ein weiteres Wort zu sagen. Ich saß ein, zwei Minuten so da, an meinem Tee nippend, mir meiner plötzlichen Einsamkeit bewusst. Gedanken bohrten sich wie Rüsselkäfer in mein Gehirn. Nichts, was ich unternahm, konnte sie abschütteln; nachts rissen sie mich ebenso oft wie meine Anfälle von Atemnot aus dem Schlaf. Das ist bestimmt nichts Besonderes. Eine Begleiterscheinung des Alters. Die Folge unzureichender Beschäftigung.
    Weiß gestrichene Wände. Fußboden aus dunklem Holz. Parkett. Es verlegen zu lassen hatte einiges gekostet. Drüben am Fenster, sichtbar unter der Schicht von Bohnerwachs, ein gebleichtes Parallelogramm im Holz, da wo die Sonne hereindrang. Auf einem mit Fransen besetzten dunkelroten Teppich entsprechende Rauten von sonnenaufgehellter Wolle. Zwei Holzsessel im Kolonialstil, dreißig Jahre zuvor von der Forstverwaltung gekauft. Verzierte rotlederne Puffs, rissig und schimmelfleckig.
    Es fiel mir zunehmend schwerer, mich nicht in der Wohnung umzuschauen und dabei im Kopf Berechnungen anzustellen, wie viel das alles bei einer Haushaltsauflösung einbringen würde. Eines Tages sah ich Babagaleh dabei zu, wie er die Vorhänge ausschüttelte, die Armlehnen der Sessel mit einem feuchten Tuch abwischte – und fragte mich, ob er gerade das Gleiche dachte. Der Gedanke rüttelte mich auf, und im Lauf des Tages begann ich zu überlegen, was aus meiner Bibliothek werden sollte. Die Bände in den Regalen gingen in die Hunderte. Ich wollte mir, beschloss ich, die Aufgabe stellen zu entscheiden, welche von ihnen es wert waren, aufbewahrt zu werden. Den Rest konnte die Universitätsbibliothek bekommen. Eine Schenkung . Das war der richtige Weg. Diese neue Perspektive verlieh meinem Projekt einen Zweck.
    Wir gleichen Käfigtieren, wir Alten. Wie Mäuse oder Hamster ständig dabei, unsere kleinen Wohnwelten umzuräumen, abwechselnd Runde um Runde im Rad laufend, um nicht verrückt zu werden.
    Ein Jahr zuvor hatte ich das ganze Haus innen neu streichen lassen. Zwei Maler kamen mit Abdeckplanen und stellten ihre Leitern auf. Von Zeit zu Zeit ging ich nach oben, um festzustellen, wie sie vorankamen, und mich zu vergewissern, dass sie keine Farbe auf dem Parkettboden verspritzten, aber auch einfach um den beiden dabei zuzuschauen, wie sie, in vollkommenem Gleichgewicht auf einem einzigen, von zwei Trittleitern gestützten Brett balancierend, die Decke strichen. Sie unterhielten sich über alle möglichen Dinge, proletarische Weisheiten, zumeist bloße Reaktionen auf die Nachrichten, die aus ihrem Radio drangen. Sie störten sich nicht an mir, es hätte ihnen auch gar nicht zugestanden, und außerdem wussten sie, dass ich herzlich wenig hatte, womit ich mich beschäftigen konnte.
    Damals begannen meine Atemprobleme; die Farbdämpfe, Sie verstehen. Davor ein trockener Husten, der mir gelegentlich zu schaffen gemacht hatte. Ich machte dafür den Harmattan verantwortlich, die Pollen aus dem Garten, die Dunstglocke aus Autoabgasen, die die ganze Stadt bedeckte. Ich war nicht zum Arzt gegangen. Wozu auch? Damit der Mann mir die Brust abklopfen, irgendwelche Antibiotika verschreiben und anschließend eine horrende Rechnung ausstellen konnte?
    Eine Spinne hatte in einem Winkel unter der Decke ein Netz gesponnen, seidene trapezförmige Maschen. Und drüben auf dem Teppich Sprenkel von weißem Staub, die Babagaleh übersehen hatte. Zementstaub.
    Ich sah einmal eine Frau, deren Verlust ich betrauerte, noch ehe ich ein einziges Wort mit ihr gesprochen hatte.
    20 . Januar 1969 . Das Fakultätsfrauendinner. Wir, die Junggesellen, zusammengeschart am hinteren Ende des Rasens, einer verwahrlosten Fläche Unkrauts. Auf der anderen Seite stand das Empfangsspalier. Ich
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher