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Lied aus der Vergangenheit

Lied aus der Vergangenheit

Titel: Lied aus der Vergangenheit
Autoren: A Forna
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später kamen sie, Julius am Lenkrad, an mir vorbei. Ich weiß nicht, ob sie mich auch nur bemerkten. Jedenfalls fuhr der Wagen ohne zu verlangsamen weiter.
    Ich ging die Straße entlang. Die Schatten der Bäume am Wegesrand krochen stetig in die Länge, die Farben um mich herum zerflossen zu Grau. Die weiß gekalkten unteren Enden der Baumstämme hoben sich, von der sinkenden Sonne gerade noch beschienen, wie Wachposten ab. Ich behielt die Hecklichter des Wagens im Auge, bis sie Glühwürmchen in der Ferne waren. Ich blieb stehen und holte mein Notizbuch hervor, drückte es gegen die glatte Rinde eines Baumes und schrieb die Autonummer auf, solange ich sie noch im Kopf hatte. Und dann noch ein einzelnes Wort.
    Saffia .
    Freitag. Ein paar Tage nach unserer Begegnung auf dem Campus hatte ich eine Verabredung in der Stadt. Anschließend kehrte ich durch eine Seitengasse zur Hauptstraße zurück, wo ich einen Bus zum Campus nehmen wollte. Es war eine ruhige Straße in einer einst wohlhabenden Gegend. Ich kam an einem Kiosk vorbei, wo es Softdrinks und Zigaretten gab; ein Stück weiter stand eine Schneiderpuppe in einer bestickten Robe vor einem Laden. Davor parkte ein weißer Volkswagen Variant.
    Als ich die Hand aufs Dach des Wagens legte, verriet mir die Hitze des Metalls, dass er schon seit einiger Zeit in der Sonne stand. Ich schaute mich um. Entweder besuchte Saffia gerade jemanden, oder sie war im Geschäft. Ich entschied mich für die einzige Option, die mir offenstand. Als ich aus der Sonne in den Laden trat, kam mir kurz der Gedanke, dass es auch Julius sein konnte, der mit dem Wagen unterwegs war. Doch mittlerweile hatte ich festgestellt, dass er immer bis spät am Abend auf dem Campus blieb. Und in diesem Punkt lag ich richtig. Denn da stand sie, im hinteren Bereich des Ladens, in einem schlichten bedruckten Kleid, zusammen mit einem der Schneider. Eine Zeitschrift lag offen auf dem Tisch, und sie standen beide vornübergebeugt da, während sie die Seiten umblätterte. Ich schaute zu. Es bereitete mir Vergnügen, da ich wusste, dass sie mich nicht gesehen hatte. Ihre Nackenlinie, die Art, wie sie sich den Daumen leckte, um eine Seite umzublättern, der feierliche Ausdruck, mit dem sie die jeweiligen Vorzüge einzelner Modelle abwägte, das nachsichtige Lächeln, mit dem sie den Schneider bedachte.
    »Sir?« Der mir am nächsten sitzende Schneider hatte aufgehört, das Pedal seiner Nähmaschine zu treten, und sah zu mir auf. Ich deutete unbestimmt in Saffias Richtung. Er nickte und beugte sich wieder über seine Arbeit. Gerade in dem Moment wurde sie mit ihrer Angelegenheit fertig und wandte sich zum Gehen. Sie verabschiedete sich, sammelte ihre Zeitschriften zusammen, suchte nach ihren Autoschlüsseln, war dadurch abgelenkt. Erst als sie fast mit mir zusammenstieß, schaute sie auf.
    »Tut mir leid. Bitte entschuldigen Sie.« Ich trat zur Seite, als wäre es meine Schuld gewesen.
    »O hallo«, sagte sie.
    »Hallo«, gab ich zurück. »Mrs Kamara, nicht wahr?«
    »Ja, ja.« Sie streckte die rechte Hand aus, und zum zweiten Mal griff ich danach.
    »Cole. Elias Cole.«
    »Mr Cole. Natürlich. Wie geht’s?«
    »Wie Sie sehen, ausgezeichnet.« Ich machte keine Anstalten, das Geschäft zu verlassen, und das ließ sie zögern.
    »Wollten Sie …?« Sie neigte den Kopf in Richtung der Nähmaschinen. »Ich möchte Sie nicht aufhalten.«
    Ich schüttelte den Kopf.
    »Ein Anzug. Er ist noch nicht ganz fertig. Schon gut.« Natürlich war das streng genommen nicht die Wahrheit, ebenso wenig konnte es aber als Lüge gelten. Nicht in einem Gespräch zwischen Mann und Frau. Das liegt in der Natur der Dinge, meinen Sie nicht auch? Und ich fügte hinzu: »Nein, ich wollte gerade zurück zur Arbeit.«
    Hier lächelte sie.
    »Zum Campus? Nun, da will ich auch hin. Ich kann Sie mitnehmen, wenn Sie möchten. Oder sind Sie selbst mit dem Auto hier?«
    »Nein, nein«, sagte ich. »Gestatten Sie, dass ich Ihnen helfe.« Und ich nahm ihr den Stoß Zeitschriften aus den Armen. Saffia schloss den Wagen auf, und ich glitt auf den Beifahrersitz, drehte mich dabei nach hinten, um die Zeitschriften in den Fond zu legen. Ich sah, dass die hintere Rückenlehne umgeklappt und der Gepäckraum mit alten Zeitungen und Erde übersät war. Also behielt ich die Zeitschriften auf dem Schoß.
    Wir fuhren durch die Stadt. Die Schulen hatten Mittagspause, die Kinder spielten an den Straßenrändern Fangen. Es war mitten in der windigen Jahreszeit, die
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