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Lied aus der Vergangenheit

Lied aus der Vergangenheit

Titel: Lied aus der Vergangenheit
Autoren: A Forna
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hörte zu, oder gab mir wenigstens den Anschein, zuzuhören, wie mein Gesprächspartner sich über die Umverteilung der Büroräume im Fakultätsgebäude beklagte. Er war dabei schlecht weggekommen, was ganz ohne Zweifel eine Schande war. Ich sah weg, in Richtung der eintreffenden Gäste. Sie trug ein blaues Kleid, und als sie die steinerne Treppe zum Rasen herunterstieg, zupften ihre Finger leicht am Stoff, der wegen der Hitze an ihr klebte. Ich beobachtete sie und spürte, wie ein Gefühl, diese damals noch namenlose Emotion, in mir aufwallte.
    Mein erster Gedanke stellte sich nach einigen Augenblicken ein – und traf mich wie ein Schlag: Der Mann, der einen Schritt hinter ihr die Stufen herunterkam, war ihr Ehemann.
    Ein paar Meter vor dem Empfangsspalier entfernte er sich von ihr. Doch nicht ihr Mann. Erleichterung, ein kalter Hauch das Rückgrat hinunter. Dann sah ich sie die Hand ausstrecken und ihn leicht am Ärmel berühren. Und in dieser leichten Berührung, an der nur ihre Fingerspitzen beteiligt waren, hätte ebenso gut die Kraft von zehn Männern liegen können, so rasch fügte er sich und änderte seinen Kurs wieder in Richtung auf die lange Reihe von Menschen. Ich sah, wie er seinen Willen dem ihren unterordnete. Ich sah sie lächeln, ein Aufwärtswölben ihrer Lippen, blass und süß. Und er lächelte zurück, ritterlich in seiner Niederlage. Sekunden waren vergangen, seit ich sie zum ersten Mal erblickt hatte, und zwei Mal schon hatte ich sie verloren.
    Ich entschuldigte mich, stellte mein Glas auf das Tablett eines vorüberkommenden Kellners, überquerte den Rasen, begab mich ans Ende des Empfangsspaliers und stellte mich neben den letzten Mann, einen älteren Dozenten meiner Fakultät, den ich vage kannte. Ich nickte, und er nickte zurück, praktisch ohne mich wahrzunehmen, da er schon vor Längerem in jene besondere Starre verfallen war, die derlei gesellschaftliche Anlässe auszulösen pflegen.
    Ich schüttelte ein, zwei Hände, murmelte Grußfloskeln. Keiner der Anwesenden merkte etwas oder scherte sich darum, ihre Gedanken kreisten schon um Alkohol und Essen. Und dann war sie da, stand mit ausgestreckter Hand vor mir und lächelte. Ich nahm ihre Hand. Ich nannte meinen Namen. Sah ihr Lächeln, eine Arme-Leute-Version des Lächelns, das sie ihrem Mann geschenkt hatte. Sie ging weiter und wartete dann, ein paar Schritte entfernt, während ich ihren Mann begrüßte. Sie schlenderten nebeneinander über den Rasen, seine Hand wieder an ihrem Ellbogen.
    Ich folgte ihnen mit den Augen. Mir wurde bewusst, dass ich keine Ahnung hatte, wie sie hieß, denn ihr Name war im Augenblick unserer Begegnung vom Hämmern in meinen Ohren übertönt worden.
    Als ich endlich dazu kam, meinen Tee zu trinken, war er abgekühlt. Ich habe eine Abneigung gegen lauwarme Getränke. Ich ging zur Veranda, stellte die Tasse auf einem niedrigen Tisch ab und stemmte die Glastür auf. Draußen goss ich die Flüssigkeit über das Geländer ins Blumenbeet und sah befriedigt zu, wie sie ein Loch in die trockene Erde bohrte. Der Garten hatte während der Dürrephase gelitten; im Rasen waren kahle Flecken roher Erde erschienen, die Beete sahen eher wie vernachlässigte Grabstätten aus.
    Als ich zum Sessel zurückkehrte, war ich schon vor Anstrengung in Schweiß gebadet. Ich schenkte mir eine frische Tasse Tee ein und trank sie achtsam aus. Ich schlug eines der Eier am Rand des Tabletts an und pellte die Schale mit den Fingernägeln ab. Dann schüttete ich ein bisschen Salz auf den Teller und stippte das Ei hinein. Babagaleh hat sich nie der Anschauung angeschlossen, es sei möglich, ein Ei zu hart zu kochen. Ich brachte den ersten Bissen nur mit größter Mühe herunter. Den Rest legte ich wieder aufs Tablett. Immer noch keinen Appetit. Es ist der reine Hohn. Die Abwesenheit eines Verlangens sollte eigentlich befreiend sein. Stattdessen verspürt man eine andere Art von Begierde: nach dem verlorenen Verlangen. Ich sehnte mich danach, wieder nach Speisen zu gieren, Hunger zu spüren und mich dann dem Genuss hinzugeben, ihn zu befriedigen. Ich verspürte eine plötzliche, unsinnige Lust auf eine Zigarette. Was konnte genussvoller sein, als zweckfrei Toxine einzuatmen, tief in die Lungen hinein?
    Nach einiger Zeit stemmte ich mich wieder auf die Füße und setzte mich an den Schreibtisch, drehte mich mit dem Stuhl so herum, dass ich auf die Bücherregale schaute. Ich wählte ein Buch und holte es heraus. Bantons West African City,
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