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Lieblingsstücke

Lieblingsstücke

Titel: Lieblingsstücke
Autoren: Susanne Fröhlich
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jetzt so lange durchgehalten, dass es noch ärgerlicher wäre, kurz vor dem großen Moment aufzugeben. Deshalb entscheide ich mich zu sagen: »Nein, verrate es ihm nicht. Wenn er nach mir fragt, sag ihm, er soll mich unbedingt auf dem Handy anrufen und sein Handy bitte, bitte einschalten. Du kannst erzählen, Sabine hätte Liebeskummer, und ich müsste mich kümmern. Das glaubt er ganz sicher.« Mit einem
»Danke, Papa. Du hast was gut bei mir! Und grüß die Kinder!«, verabschiede ich mich.
    Mein Vater hat wie meistens (jedenfalls, solange meine Mutter nicht dabei ist), das letzte Wort: »Andrea, ich arbeite nur mein Wohngeld ab. Jetzt sind wir quitt. Sei vorsichtig und denk dran, New York ist eine Großstadt.« Meine Güte, der tut ja fast so, als wäre ich im Irak unterwegs. Aber gut – es ist nun mal ein Privileg der Eltern, sich zu sorgen.
     
    Um sechs Uhr stehe ich endgültig auf und beschließe, die Stadt zu erkunden und meinen Tagesplan abzuarbeiten. Schade, dass ich keine frische Wäsche dabei habe. Das erinnert mich an meinen Koffer. Ich rufe am Flughafen an, um zu erkunden, ob er aufgetaucht ist. Sie sind »totally sorry«, aber er sei noch nicht aus Hawaii zurück. Liegt der in der Sonne, oder was ist da los? Lässt der sich Blumenkränze umbinden? Ich soll mir neue Kleidung kaufen, die Fluglinie bezahlt. Very sorry. Das hört sich doch nach einem schönen Vorschlag an. Ich hätte wenig Lust, heute Abend in dem Business-Class-Schlafanzugoberteil auszugehen. Jetzt wird mir nichts anderes übrigbleiben, aber der Gedanke, gleich vierhundert Dollar einfach so zur Verfügung zu haben, ist großartig. Da verzichte ich doch gerne mal für einen Tag auf meinen Koffer. Ich muss nur die Belege aufheben und dann einreichen. Das hört sich doch fast nach einem Geschäft an.
    Da selbst in New York vor sieben morgens keine Geschäfte aufhaben, gehe ich erst einmal frühstücken. Auf die Chips, die Erdnüsse und die Schokolade kommt jetzt was Vernünftiges. Ein ordentliches amerikanisches Frühstück mit frisch gepresstem O-Saft, Eiern und einem Bagel mit Frischkäse.
     
    In der Stadt wird eifrig abgesperrt. Um zehn Uhr soll der Marathon starten, und ich habe, langsam aber sicher, die Sorge, dass ich Christoph nicht finden werde. Schließlich rennt er nicht alleine, sondern mit etwa vierzigtausend anderen. Natürlich ist mein Mann außergewöhnlich, aber ob er aus einer Masse dieser Zahl heraussticht? Da habe ich doch leise Zweifel. Was also tun, wenn er sich nicht meldet? Vielleicht sollte ich die Überraschung Überraschung sein lassen, in sein Hotel gehen und ihm dort für den Lauf alles Gute wünschen.
    Also mache ich mich nach dem Frühstück auf den Weg zurück in mein Hotel, und nach einer Viertelstunde hat die freundliche Frau am Empfang Christoph gefunden. Nicht ihn persönlich, aber seinen Aufenthaltsort. Er ist Luftlinie nicht mal fünfhundert Meter von mir entfernt. Ob ich ihn anrufen will, fragt mich die Rezeptionistin. Ich verneine. Ich werde direkt hinlaufen, mich vor sein Zimmer stellen und »Überraschung!« rufen. Was für ein schöner Gedanke.
    Ich gehe sofort los. Wie lustig, da sind wir beide in dieser gigantischen Stadt und schlafen nur wenige Meter voneinander entfernt in getrennten Betten. Eigentlich schade. Aber irgendwie auch ulkig.
    Ich laufe am Bryant Park entlang, an der New York Library vorbei, und an der Vierzigsten Straße Ecke Fifth Avenue sehe ich ihn. Etwa hundert Meter von mir entfernt leuchten seine Joggingschuhe. Wenn ich etwas oft gesehen habe, dann sind es seine Joggingschuhe. Die würde ich sogar am Geruch erkennen! Ich renne los und stürze mich von hinten auf ihn.
    »Huhu, Überraschung«, schreie ich. Die Überraschung ist gelungen. Ein völlig geschockter Mann dreht sich zu
mir um. Und es ist nicht Christoph, dem ich von hinten die Arme um den Leib geschlungen habe, sondern ein mir total fremder Läufer, der zufällig die gleichen Schuhe wie Christoph trägt. Auch die Statur und die Frisur kommen in etwa hin. Der Mann zittert. Ich entschuldige mich, versuche auf Englisch, die Situation zu erklären, und er fasst sich nur an den Kopf und brüllt irgendwas Unverständliches, wobei das Wort »Heart attack« vorkommt. Mehrfach. Darüber hinaus kann ich nichts verstehen. Reumütig sage ich immer wieder »Sorry, sorry« und gehe so schnell wie möglich weg.
    Wie kann ich nur so dämlich sein – der arme Mann –, aber man sieht eben, was man sehen will, und ich will
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