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Liebesnaehe

Liebesnaehe

Titel: Liebesnaehe
Autoren: Hanns-Josef Ortheil
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ragt aus diesem Licht hervor, als wollte sie ihr Grün wie ein mächtiger Sender in die ganze Umgebung der Wälder verstreuen.

    Der Fahrer schweigt, und auch sie spricht jetzt nicht mehr, sie fahren langsam die schmale Straße entlang und biegen dann ab und auf das Hotelgebäude zu, durch die Allee mit den Pappeln, die ihr vorkommen wie eine Prozession von beinahe gleich großen Paaren. Sie ist jetzt etwas aufgeregt, jedes Mal, wenn sich der Bus dem Hotel nähert, befällt sie diese Unruhe, dort hinzukommen kann ihr gar nicht schnell genug gehen, und so öffnet sie die Tür des Wagens schon, während er ausrollt und dann direkt neben dem Eingang zum Stehen kommt.

    Der Fahrer lacht und ruft ihr nach, dass er das Gepäck gleich aufs Zimmer bringen werde, sie aber hört kaum noch darauf, sondern ist schon in der Lobby und winkt den jungen Frauen an der Rezeption zu. Sie wird erkannt, und die jungen Frauen lachen mit ihr, weil sie bereits wissen, dass sie jetzt nicht sofort an der Rezeption vorbeikommt, sondern erst einen kleinen, sehr raschen Gang machen wird: durch das Restaurant, an dem am Abend ein Büffett für die Hotelgäste aufgebaut wird, durch den Tearoom und die große Bar mit dem schwarzen Flügel, nach draußen, wo jetzt an der Front eines Hotelflügels entlang einige Liegen postiert sind.
    Sie beachtet das aber kaum, sie geht weiter, einen kleinen Pfad quer über eine Wiese, bis sie an ihrem Rand endlich zum Stehen kommt und hinab in die Schlucht blickt, wo das Sonnenlicht auf dem hellblauen Wasser eines leeren Pools tanzt. Genau diesen Pool wollte sie jetzt als Erstes sehen, genau diesen Lichttanz und all diese Helligkeit, sie verengt die Augen und blickt jetzt auf dieses Detail: ein blaues Rechteck mit einigen gleißenden, sprunghaft
umherzuckenden Linien. Am liebsten würde sie sofort hinunterlaufen und ein Bad nehmen, sie versucht stattdessen aber, sich zu beruhigen: Alles stimmt, alles ist so, wie sie es bereits seit Tagen vor Augen hatte.

    Sie wendet sich von der Schlucht ab und geht jetzt bewusst langsamer und schlendernd zurück ins Hotel, einige Frauen vom Service haben von ihrer Ankunft erfahren und wollen sie begrüßen, sie gibt ihnen allen die Hand und spricht kurz mit jeder, das Wetter, hört sie immer wieder, wird in den nächsten Tagen sehr gut, das Wetter könnte nicht besser sein.

    Sie geht durch das Restaurant zur Rezeption, die jungen Frauen haben das Anmeldeformular schon ausgefüllt, und sie unterschreibt mit ihrem Namen, während in der Zeile darüber bereits ihre Münchener Adresse eingetragen ist.
    Sie spricht mit den jungen Frauen über ihre Zugfahrt von München hierher und darüber, was ihr alles aufgefallen ist und was sie beobachtet hat, der Zugführer hat die Durchsagen diesmal nicht nur auf Deutsch und Englisch, sondern auch noch auf Französisch und Italienisch vorgetragen, die halbe Fahrt verging mit all diesen in der entlegenen Landschaft kurios klingenden Details, so dass einige Fahrgäste in einem Anfall von Komik in anderen Sprachen weitergemacht haben: in Spanisch und Portugiesisch, schließlich sei ein mitfahrender Japaner sogar noch gebeten worden, eine Durchsage auf Japanisch beizusteuern.
    Ein ganzer Zug als Sprachenkonzert, das hat ihr gefallen, und sie will noch weitere Details schildern, bricht
ihre Erzählung dann aber doch ab, indem sie sich nach ihrer Zimmernummer erkundigt und schließlich den Aufzug hinauf in den zweiten Stock nimmt. Ihre Zimmertür ist verschlossen, und sie muss ein Plastikkärtchen vor ein kleines, rot aufglimmendes Licht halten, bis direkt hinter dem Licht ein leicht schnurrendes Geräusch zu hören ist und das Rot danach sofort auf Grün springt.

    Sie betritt das große Zimmer und sieht gleich, dass der Fahrer ihr Gepäck bereits im Raum verteilt hat. Die große Reisetasche steht neben dem niedrigen Tisch, einer der Koffer ruht schwer auf einer hölzernen Ablage, während der andere vor einem der Schränke kauert. Sie zieht ihre helle Jacke aus und geht kurz ins Bad, sie schaut in den Spiegel und kippt dann das Fenster, sie wäscht sich die Hände, geht zurück in den Schlafraum, sucht in ihrer Tasche nach einer Bürste und fährt sich damit mehrmals durchs Haar.
    Dann nimmt sie einen Schluck aus der bereitstehenden Wasserflasche und setzt sich an den Schreibtisch. Sie räumt alles, was an Prospekten darauf herumliegt, in ein Fach und holt das Aufnahmegerät aus ihrer Aktentasche. Sie postiert es vor sich, lässt es laufen und
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