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Liebesnaehe

Liebesnaehe

Titel: Liebesnaehe
Autoren: Hanns-Josef Ortheil
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entschiedener geworden, vielleicht ist ihr das gar nicht so genau bewusst, er selbst empfindet die Veränderungen an diesem Vormittag aber ganz deutlich. Er sagt nichts und denkt vorerst auch nicht weiter darüber nach, stattdessen hört er ihr genau zu, bis ihr Handy sich plötzlich durch ein lautes Summen bemerkbar macht.

    – Aha, sagt er, leicht ironisch, das ist wohl ein Notfall?
    Sie lächelt und meldet sich an ihrem neuen, winzigen, in ihrer Hand beinahe verschwindenden Handy. Sie geht
ein paar Schritte zur Seite und spricht sehr leise, nach dem kurzen Gespräch kommt sie wieder zu ihm.
    – Ich gehe zurück in die Buchhandlung, sagt sie, ich möchte einen lieben Kunden nicht länger warten lassen.
    – Weißt Du schon, mit welchen Texten Du ihn ruhig stellen wirst? fragt er.
    – Du hast mein Projekt anscheinend noch nicht richtig verstanden, antwortet sie, Du wirst es aber sehr bald verstehen, da bin ich sicher.

    Sie umarmt ihn kurz, dann dreht sie sich um und geht eilig den Feldweg zurück. Er überlegt, ob er allein noch weiter in die Höhe gehen soll, aber nein, dazu hat er jetzt keine Lust, und so macht auch er kehrt und geht langsam zurück zum Hotel. Dort durchquert er die Lobby und das Hotelrestaurant, bis er auf der anderen Seite des Flügels die Liegewiesen erreicht, die sich direkt an das Hotel anschließen. Er geht bis zu ihrem Rand, wo eine einzelne Bank steht, er setzt sich und schaut hinab auf das im Sonnenlicht hell vibrierende Wasser des Pools unten in der Schlucht.

4
    NACH EINER Weile holt er das kleine Notizheft aus seiner rechten Jackentasche und legt es auf seine Knie. Er schlägt es aber nicht sofort auf, er muss erst seine Gedanken sortieren. Seit Katharina ihre Münchener Buchhandlung
geschlossen hat und hierher gezogen ist, hat er sie nicht mehr gesehen. Ungefähr einmal pro Woche haben sie telefoniert, aber es waren kurze Gespräche, schließlich weiß sie, dass er nicht gern telefoniert. Vor wenigen Minuten sind sie sich zum ersten Mal wieder begegnet, und obwohl sie kaum eine Stunde miteinander gesprochen haben, spürt er doch schon, wie gut ihm dieses Sprechen tut.
    In ihrer Münchener Buchhandlung war sie eine umtriebige Buchhändlerin mit zwei jungen Angestellten, immer auf der Suche nach dem Neusten, dem Interessanten, dem Besonderen. Sie war eine hemmungslose, unersättliche Leserin, und wenn sie vom vielen Lesen genug hatte, trieb sie sich in Cafés, im Theater oder im Kino herum. Nun aber lebt sie auf einer Insel, stundenlang sitzt sie allein in ihrer Buchhandlung und vertieft sich in ihre Bücher, vielleicht sind sie in ihren Augen inzwischen zu Therapeuten geworden, und vielleicht versucht sie sogar, solche Therapien dann auch an ihre Kunden weiterzugeben, ja, so könnte es sein. Letztlich hat sie aber wohl nach Lesedrogen gesucht, nach Lektüren, die gleich in die Gehirn- und Blutströme gehen, ohne einen umwegigen Bezug zu so etwas wie Bildung oder zu flüchtigen Tagesthemen – das nämlich sucht sie nicht, sie sucht Lesedrogen, deren Lektüren einen nicht unberührt lassen .

    Er schaut auf, als er eine Frau erkennt, die sich dem Pool in der Schlucht nähert. Sie trägt einen hellgrünen Bademantel und beugt sich hinab, um mit der rechten Hand kurz durch das Wasser zu fahren. Dann zieht sie den Bademantel aus und legt ihn auf eine Liege, neben der auch
bereits eine dunkelblaue Sporttasche steht. Sie bindet ihre langen, blonden Haare zusammen, dann geht sie langsam an den Beckenrand und springt mit einem Kopfsprung ins Wasser.
    Er zuckt kurz zusammen, als spürte auch er die plötzliche Kühle, er sitzt da mit leicht geöffnetem Mund, als hätte er noch nie eine Schwimmerin gesehen, die in diesen hell leuchtenden Pool dort unten springt. Er schaut ihr zu, wie sie langsam eine Bahn schwimmt, sie wendet und bleibt dann eine Weile unter Wasser. Sie schwimmt in einem sehr konstanten, zügigen Tempo, ändert aber immer wieder den Stil, meist schwimmt sie Brust, dann aber auch auf dem Rücken, er starrt jetzt hinunter auf dieses kleine Schauspiel, als würde es eigens für ihn gespielt und präsentiert.

    Nach einigen Minuten schüttelt er über sein unablässiges Starren aber den Kopf, er versucht, sich an etwas zu erinnern: Wo hat er einmal Bilder eines Pools mit einem derartig gleißenden Hellblau gesehen, war es nicht neulich in einer Ausstellung, oder war ein solches Motiv unter den Fotografien, die er sich vor Kurzem in einer Münchener Galerie angeschaut hat?
    Die
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