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Liebesnaehe

Liebesnaehe

Titel: Liebesnaehe
Autoren: Hanns-Josef Ortheil
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der Präparationen ist nun endgültig vorbei, ihre Körper sind nun ganz mit sich allein und wälzen sich wie in plötzlicher Gelöstheit und Verzückung auf dem breiten Lager.

    Er sieht, wie sie ihre Beine spreizt und mit einer kurzen, raschen Bewegung seinen Rücken zu klammern beginnt, sein Oberkörper wird gehalten und ein wenig gedehnt, bleibt aber federleicht, als hielte sie ihn in einer luftigen Schwebe. Er stützt sich mit beiden Händen auf die Erde, damit sein Gewicht sie nicht belastet. Er sieht, wie empfänglich sie ist für diese unendlich sanfte Berührung der beiden Oberkörper, er konzentriert sich ganz auf diesen Kontakt und spürt, wie sie sich mit jeder kleinen Regung stärker ineinander verketten. Die Dehnung ihrer Waden, die Wölbung seines Rückens – die Ballung seines Oberkörpers, die Straffheit ihrer Brust.

    Sie halten einen langen Moment inne, als wollten sie diese Anspannung regungslos und erstarrt erleben, sie lassen die Körper treiben … – als er erneut die Bilder der uralten Szenen erinnert. Die Leere eines altjapanischen Raumes, die ausschließliche Fixierung der Liebenden auf die Bewegungen ihrer Körper … – wie sie diese Bewegungen langsam und allmählich vorantreiben, wie sie ihre Bewegungen studieren und auf jeden Reflex eingehen!

    Er dreht sich zur Seite und legt sich erneut dicht neben sie, er möchte ihr Gesicht wieder ganz nahe betrachten. Die großen Augen, den leichten Flaum über den breiten Lippen, die Haarsträhnen hinter den Ohren, das Zucken der Halsader, den dünnen, glänzenden Schweißfilm auf einer Seite des Halses. Er fährt mit seiner Zunge über ihren Hals, dann küsst er sie auf die Lippen. Ihre Zungen berühren sich, es ist, als schlügen sie leicht gegeneinander.

    Erneut ein abruptes Erschrecken, ein Innehalten, eine Erstarrung. Minutenlang nur dieser Tanz der Zungen, ihr Nachfassen, ihre Panik.

    Dann zum letzten Mal die uralten Bilder: Wie die Drapierungen der Kleider und Decken sich schließlich öffnen und die Unterleiber sich wie gescheckte Lemuren aus dieser Öffnung herausschälen, um das Spiel zu vollenden.

39
    NACH DER Erschöpfung gerät sie immer wieder ins leichte Träumen, sie glaubt seine Stimme zu hören, die etwas vorliest, dazwischen entstehen kurze Pausen, in denen eine Musik sich aus weiter Ferne meldet.

    Überhaupt erscheint ihr nun alles wie ein kleines Orchester, das die Bilder in den schimmernden Fenstern instrumentiert, sie sieht Vögel, die sich in geöffneten Käfigen
auf und ab schwingen, und sie erkennt Details von Blumen, die gerade gezeichnet werden und dann wieder verschwimmen. Rücken die Bilder näher, schwillt die ferne Musik an, manchmal entsteht auch ein Sprachenorchester, als befänden sie sich in einem unterirdischen Versteck und als hätte sich über ihnen eine große Gesellschaft zu einem Fest versammelt.

    Wenn sie wach sind, vereinigen sich ihre Körper immer von Neuem, sie brauchen dazu aber nichts zu tun, die Körper finden von selbst zusammen, und dann fallen sie in eine lange Erstarrung, als wollten sie diese Seligkeit möglichst bis zur Neige auskosten. Sie spürt seinen Körper in solchen Momenten wie eine anschmiegsame Decke, die ihrer Haut genau angepasst ist und jede ihrer Bewegungen mitmacht, und sie hält still, um das regelmäßige Pochen seines warmen Gliedes in ihrem Leib zu spüren, das ihr vorkommt wie das Luftschnappen eines schweren, regungslosen Fisches auf dem Grund eines dunklen Bassins.

    Die Liebe der Körper hat mit Sex wenig zu tun, sie spielt mit diesem Satz und mit dem lästigen, aufdringlichen Wort, sie möchte es verscheuchen oder wegkicken, und sie möchte neue Worte und Metaphern erfinden, um dieses Spiel zu beschreiben. Einverständnis! Einklang! – wären das solche Worte? Nein, sie sind noch zu passiv, zu matt und vor allem zu blass! Die Liebe der Körper ist nichts Harmonisches, nein, diese Liebe entwickelt sich langsam und entsteht aus dem Spiel all der kleinen Feuer, die sich während der letzten Tage entzündeten.

    In den Momenten des höchsten Glücks hat die Sprache sowieso nichts mehr zu suchen, nein, in solchen Momenten sind nur noch die Ur-Laute da, ein Lallen, ein Rufen, ein Bitten, ein Stammeln. Gegenüber solchen Lauten hat jeder Satz oder jedes Wort keine Kraft, sie kommen zu spät, sie stimmen mit der Empfindung nicht mehr überein, nein, sie haben etwas falsch Beschönigendes, Glattes.

    Die Sprache der Glücksmomente ist aber in diesem Sinne nicht
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