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Liebeslied für einen Prinzen

Liebeslied für einen Prinzen

Titel: Liebeslied für einen Prinzen
Autoren: RAYE MORGAN
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Darum blieb er sitzen und redete über alles Mögliche, nur um die Spannung zwischen ihnen zu überbrücken.
    Während sie ihm zuhörte, bewegte sie unruhig die Füße. Allmählich machte der Mann Elena nervös. Das gefiel ihr nicht. Sie kam hierher, um Frieden und neue Kraft zu finden, nicht um Wortgefechte zu bestehen.
    Einen Moment lang dachte sie darüber nach, ob sie Fabio zu sich rufen sollte. Als sie den Hund bekam, hatte man ihr erklärt, dass er nicht mit Kindern spielen durfte. Fabio hatte bestimmte Aufgaben zu erfüllen, und es würde ihn nur verwirren, wenn man ihn wie ein normales Haustier behandelte.
    Anfangs war sie in diesem Punkt auch sehr streng gewesen und hatte stets darauf geachtet, dass Fabio nur seine Arbeit verrichtete. Doch je mehr sie sich auf ihn verließ, desto entspannter war sie geworden. Und jetzt hatte er Spaß mit dem Jungen. Elena hörte sie deutlich. Also war Fabio nicht zu weit weg, um sich Sorgen zu machen. Anscheinend genossen die zwei es, am Strand zu toben. Lächelnd entschied sie, sie noch eine Weile spielen zu lassen.
    Der Arm des Fremden streifte sie. Beinahe hätte sie hörbar Luft geholt, beherrschte sich jedoch und biss sich auf die Unterlippe. Der Mann merkte es nicht, sondern redete weiter über das Glitzern des Sonnenlichts auf dem Meer und das klare Wasser vor der Küste. Das waren normale Gesprächsthemen, über die sich jeder andere auch unterhielt.
    Er war zwar nicht wie erhofft weggegangen, aber inzwischen gab er sich auch nicht mehr so unangenehm wie anfangs. Elena seufzte. Vielleicht war er gar nicht übel, sondern ein anständiger Kerl. Sie sollte nicht voreingenommen sein.
    Und doch … In seiner Stimme nahm sie etwas wahr, das sie beunruhigte. Vielleicht war es eine ständige Traurigkeit, eine alte, nicht verheilte Wunde, etwas, das tief in seinem Inneren verborgen an ihm nagte.
    Diesem Mann zu helfen entsprach nicht ihren Absichten. Er war kein Freund und würde auch nie einer sein. Ungeduldig drehte sie sich zur Seite und wollte Fabio zu sich rufen, stieß jedoch mit dem Fuß gegen die Leinentasche und merkte, wie sie umkippte und der Inhalt herausfiel.
    „Oh nein“, murmelte Elena und bückte sich, um ihre Sachen einzusammeln.
    „Lassen Sie mich das machen“, sagte der Fremde, fing an einzusammeln, zögerte dann aber.
    Sie wartete ab und überlegte, was er entdeckt hatte, das ihn innehalten ließ.
    „Sie sind also Künstlerin“, bemerkte er schließlich.
    „Könnte man sagen“, bestätigte sie. Immerhin war sie schon immer musikalisch gewesen. Als sie mit vier Jahren das Augenlicht verloren hatte, war die Musik ihre Verbindung zu der Welt gewesen, in der sie nicht mehr unbefangen aufgenommen wurde. „Wie kommen Sie darauf?“
    „Ich habe Ihre Skizzen gefunden.“
    Wovon redete er? „Ach ja?“, sagte sie vorsichtig.
    „Ja. Ihr Skizzenblock ist aus der Tasche gerutscht.“
    Plötzlich dämmerte es ihr. Natürlich, Gino! Ihr schwuler, künstlerisch sehr angesehener Freund begleitete sie oft, wenn sie die Ruinen aufsuchte. Das hatte er auch heute getan, war dann jedoch zum Haus zurückgekehrt, um einen Anruf zu erledigen. Es war sicher sein Skizzenblock.
    „Darf ich mir die Zeichnungen ansehen?“, fragte der Fremde.
    „Ja, sicher, warum nicht?“, erwiderte sie und lachte leise, während sie sich fragte, was Gino außerdem in die Tasche gesteckt haben mochte.
    Sie hörte Papier rascheln, als der Mann neben ihr blätterte. Ansonsten herrschte absolute Stille.
    „Du liebe Zeit“, sagte er schließlich, und seine Stimme klang leicht gepresst. „Michelangelo war harmlos im Vergleich zu Ihnen.“
    Stirnrunzelnd überlegte sie, was das bedeutete. „Es ist schön, wenn Kunst gewürdigt wird“, entgegnete sie unverbindlich.
    „Sie interessieren sich …“ Er stockte und räusperte sich. „Also, Sie widmen sich offenbar der Darstellung nackter Männerkörper.“
    Beinahe hätte sie laut gelacht. Ach, Gino, was hast du da bloß gemacht!, dachte Elena. Dem Tonfall des Fremden nach zu urteilen, hatte er ziemlich aufreizende Zeichnungen vorgefunden, und das konnte sie sich gut vorstellen. Wenn Gino erst einmal in Fahrt kam, war er kaum zu bremsen.
    Was glaubte der Fremde eigentlich, wie eine Blinde solche Zeichnungen anfertigte? Vermutlich hatte er noch gar nichts gemerkt. Das erlebte sie oft. Die Leute erkannten ihre Behinderung nicht gleich, weil Elena gelernt hatte, sich zu bewegen, als könnte sie ihre Umgebung genauso sehen wie alle
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