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Liebesfluch

Liebesfluch

Titel: Liebesfluch
Autoren: Beatrix Gurian
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konnte. Zuerst dachte ich, er wollte damit nur Susanne beeindrucken, aber später habe ich begriffen, dass er andere Gründe dafür hatte. Er wollte es unserem Vater einfach nur heimzahlen, seine bösartige brutale Strenge über all die Jahre …«
    »Und was ist dann passiert ›an jenem Abend‹?«, unterbreche ich sie und ignoriere das Grummeln in meinem Bauch. Denke an Grannie, die nicht gewollt hatte, dass ich nachforsche, was damals passiert ist.
    »An jenem Abend«, sie holt sehr tief Luft und stößt sie dann laut wieder aus. »An jenem Abend war Vater außer sich. Er hat rumgeschrien und gesagt, dass er sich von niemandem auf der Welt dafür erpressen lassen würde, dass er das einzig Richtige getan habe. Erst recht nicht von Georg, den er als Memme und Waschlappen verhöhnte. Es kam zum Handgemenge. Georg hat ihn angegriffen und unser Vater hat so hart zurückgeschlagen, dass mein Bruder voller Wucht gegen den Kachelofen geprallt ist. Ich hatte an der Tür gelauscht und bin sofort reingestürzt, aber da war Georg schon tot. Und alles war voller Blut.« Ihre Augen haben einen glasigen Ausdruck angenommen und ihre Stimme klingt vollkommen emotionslos, während mir das Herz bis zum Hals schlägt. »Wir haben ihn hinten im Garten beerdigt, dort, wo jetzt der Komposthaufen ist. Wir wollten Mutter die Aufregung mit der Polizei ersparen. Sie war schon sehr schwach und Georg war ihr Liebling.«
    Ju, Felix und ich starren uns an. Ich habe Georg ja nie gekannt, aber es tut mir so leid, dass er tot ist. Er war damals nur wenig älter als ich und so verliebt, so voller Vorfreude, voller Hoffnung for the times they are A-changin …
    »Nur wegen Mutter hat Vater behauptet, Georg wäre nach Amerika abgehauen und hätte das Familienvermögen mitgenommen.« Sie schüttelt den Kopf. »›Undank ist eben der Eltern Lohn!‹, hat er immer wieder gesagt.«
    Sie nimmt einen langen Zug von ihrer Zigarette. »Nach Georgs schrecklichem Tod habe ich selbst angefangen nachzuforschen und deshalb weiß ich jetzt, dass Georg in allem recht hatte. Unser Vater war ein übler Nazi.«
    »Aber Oma«, fragt Felix, der trotz seiner Sommerbräune ziemlich blass wirkt, »wie konntest du nach all dem, was passiert war, einfach hier weiterleben?«
    »Wo hätte ich denn sonst hingesollt?« Sie zuckt mit den Achseln. »Außerdem, Felix, glaub mir, wenn man nur lange genug nachforscht, hat jede Familie eine Leiche im Keller.«
    »Und warum hast du keinen von Susannes Briefen beantwortet? Sie im Ungewissen gelassen?«, will ich wissen.
    »Sie sollte auch leiden.« Ihre Stimme klingt hart und doch kann ich eine gewisse Unsicherheit heraushören. »Heute denke ich, das war falsch. Susanne war Vollwaise und Georg war alles, was sie hatte. Aber das Einzige, was ich je getan habe, war, den verdammten Kachelofen rauszureißen, nachdem Vater tot war.«
    Sie dreht sich um und geht, ohne ein weiteres Wort zu verlieren, ins Haus. Zurück bleibt ein Schweigen, das sich auf unsere Schultern senkt wie Blei.
    Ich lasse mich aufs Gras fallen, neben die Kassetten. Felix setzt sich zu mir, während Ju zum Kinderwagen geht, wo Mia und Bennie wieder angefangen haben zu quengeln. Wir starren die glitzernden Teile in den Kassetten an und ich versage es mir, einen der Eheringe in die Hand zu nehmen und die Gravur zu lesen. Obwohl all das vor langer, langer Zeit passiert ist, steigt Beklemmung in mir auf. Und obwohl ich nicht das Geringste damit zu tun habe, ist meine Geschichte doch mit dem Leben derer verknüpft, die damals so grausam ermordet wurden. Ich schäme mich und verstehe nun noch viel besser, warum Georg von hier wegwollte.
    »Wir müssen uns erkundigen, was wir damit tun sollen«, sage ich mit belegter Stimme. »Vielleicht kann man den Schmuck ja zurückgeben?«, schlage ich vor.
    »Eine gute Idee!«, stimmt Felix mir zu. »Wir bringen es nach Osthofen, dort gibt es ein Dokumentationszentrum, da war ich mal mit der Schule. Die können uns bestimmt sagen, was das Beste ist.«
    Ju kommt zu uns und zeigt auf die Zwillinge, deren Köpfe schwer zur Seite gesunken sind. »Wir sollten die zwei jetzt nach Hause bringen.«
    Wir stehen alle drei auf. Ich fühle mich viel schwerer als heute Morgen.
    Felix packt die Leiter und geht zum Schuppen. »Ich räume das dann mal weg. Wir sehen uns morgen, ja?« Auf halbem Weg bleibt er stehen und dreht sich zu mir um. »Hey, Cousinchen, ich hab euch ja gewarnt. Die Wahrheit wird überschätzt. Aber wenn du willst, dann komme ich
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