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Liebesfluch

Liebesfluch

Titel: Liebesfluch
Autoren: Beatrix Gurian
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meiner Mutter, die ja gar nicht meine leibliche Mutter war, wirklich glauben konnte. Ich dachte, das …«, er wedelt mit dem Brief, »sind nur die widerlichen Rechtfertigungen einer kinderlosen Frau, die einen kleinen Jungen entführt hat. Ich habe nicht daran gezweifelt, dass alles tatsächlich so stattgefunden hat, wie sie es in dem Brief geschildert hat – nicht, nachdem ich die Zeitungsartikel gelesen hatte. Aber was waren wirklich ihre Motive gewesen? Diese Münchhausen-Geschichte klang so absurd und ich war mir nicht sicher, ob meine Mutter sich das alles einfach nur ausgedacht hatte.«
    Ju hält einen Moment inne, als müsse er erst seine Gedanken ordnen. Dann fährt er fort und seine Stimme klingt so unendlich traurig, dass es mir einen Stich versetzt.
    »In meiner Vorstellung hatte meine leibliche Mutter, also Anja, ihr ganzes Leben lang darunter gelitten, dass man ihr das Kind weggenommen hatte. Ich dachte, Anja wäre eine Frau, deren Leben Ute ruiniert hatte. Deshalb wollte ich selbst die Wahrheit herausfinden – ich konnte niemandem mehr vertrauen. Gleichzeitig hatte ich Angst davor, was ich finden würde. Vor ein paar Wochen habe ich mich dann in einer Pension in Seebick einquartiert und angefangen, die Zeltners zu beobachten.«
    »Und warum hast du dich nicht deinem Vater anvertraut?«
    »Meinem Vater …« Ju lässt sich die Worte auf der Zunge zergehen. »Mein Vater! Um ehrlich zu sein, an ihn habe ich als Letztes gedacht. Lange war mir gar nicht klar, dass Stefan wirklich mein Vater ist. Ich hatte immer nur eine Mutter – Ute. In meinem Universum gab es nie einen Vater. Und ich wusste nicht, was das bedeutet, wie es sich anfühlt – verstehst du das?«
    Ich lege eine Hand auf seinen Arm und nicke ihm zu. »Ich habe zwar einen Vater, aber er war auch nie wirklich da. Für mich sind Grannie und Mom meine Eltern. Aber jetzt erzähl weiter.«
    »Also, gerade als ich beschlossen hatte, mich ihm anzuvertrauen, fand ich heraus, dass er Anja betrügt.«
    Ju wirft mir einen schnellen Seitenblick zu, doch ich nicke nur. Das, was Ju da gerade erzählt, habe ich mir, seit ich die Tüte gefunden habe, ja auch gedacht.
    »Und diese Tatsache hat meinen Plan wieder ins Wanken gebracht. Doch nicht nur das; plötzlich habe ich auch darüber nachgedacht, ob Ute sich vielleicht getäuscht haben könnte. Ob es vielleicht Stefan ist, der die Kinder krank macht, damit seine Frau beschäftigt ist und er mehr Zeit für seine Affären hat. Er war und ist ein Lügner – ich wusste, dass ich ihm nicht vertrauen kann. Und dann kamst du ins Spiel. Als ich mitbekommen habe, dass die Zeltners ein Au-pair-Mädchen engagiert haben, hat sich in meinem Kopf gleich ein neuer Plan geformt. Ich dachte, wenn ich es schaffe, dich kennenzulernen, dann könnte ich so ganz unauffällig an die Familie rankommen. Deshalb habe ich mich selbst im Wald verletzt …«
    Seine Sätze fühlen sich an wie feine Nadelstiche und ich frage mich, ob ich für ihn wirklich nur Mittel zum Zweck war. Eine höhnische Stimme in meinem Kopf antwortet und sagt mir, dass ich selten naiv bin. Ich hätte wissen müssen, dass dieser gut aussehende Junge sich nicht wirklich für mich interessiert! Der Buuum-Typ – guter Witz! Doch noch bevor ich etwas sagen kann, räuspert sich Ju, und als er weiterspricht, wirkt er verlegen. »Es tut mir leid, dass ich dich so blöd angebaggert habe.«
    »Oh ja, der Buuum-Typ!«, sage ich und kann es nicht vermeiden, dass meine Stimme dabei bitter klingt.
    »Hey.« Ju legt seine Hand auf meinen Arm und dann sehen wir uns zum ersten Mal seit Jus Zusammenbruch in die Augen und schauen beide ganz schnell wieder weg. Aber ich bemerke trotzdem noch, wie er in sich hineinlächelt, und gerade als ich fragen will, was es da zu lachen gibt, fährt Ju fort.
    »Ich meine, der Plan war sehr einfach, denn ich musste nicht mal Interesse heucheln. Ich fand dich von Anfang an ganz hübsch – vor allem deine türkisfarbenen Augen …«
    »So.« Mehr fällt mir nicht ein, und obwohl ich es nicht möchte, muss ich daran denken, wie gut Ju mir gefallen hat, als ich ihm das erste Mal im Wald begegnet bin.
    »Und außerdem habe ich dann auch schnell gemerkt, dass du total in Ordnung bist.« Jetzt grinst er mir voll ins Gesicht. »Ich dachte zuerst, du wärst bestimmt so ’ne Ami-Zicke, für die es das Wichtigste ist zu wissen, welche Lippenstiftfarbe gerade angesagt ist oder ob man eine tolle Karre fährt.«
    »Ami-Zicke – was genau meinst du
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