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Liebesfluch

Liebesfluch

Titel: Liebesfluch
Autoren: Beatrix Gurian
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sie uns schon eine Weile.
    »Felix, was ist hier los? Warum ist die Leiter am Taubenhaus?«
    »Da … da hat sich eine Meise reinverirrt, die wir befreien wollten«, stottert Felix und ich kann sehen, wie Ju ob dieser bescheuerten Lüge die Augen verdreht.
    Aber es ist egal, ob Felix’ Oma uns diese Ausrede abnimmt oder nicht, denn in diesem Moment hat sie die rostigen Kassetten auf dem Rasen entdeckt. Sie wird schlagartig so blass, dass ich Angst habe, sie könnte ohnmächtig werden.
    »Woher habt ihr das?«
    Sie zieht ihre Zigaretten aus der Tasche ihres üppigen Faltenrocks und zündet sich mit zitternden Fingern eine an. Dann schaut sie jeden Einzelnen von uns an, an mir aber bleibt ihr Blick kleben.
    »Habt ihr schon reingeschaut?«
    Wir schütteln die Köpfe.
    »Vater hat gedacht, Georg hat das Zeug Susanne mitgegeben, damit sie sich davon in den USA ein schönes Leben machen kann.«
    »Aber nach allem, was wir herausgefunden haben, hat Georg Deutschland nie verlassen«, sage ich.
    »Ich weiß.« Sie zieht heftig an ihrer Zigarette. »Susanne hat viele Briefe geschrieben und nach Georg gefragt.«
    Ich hole tief Luft und weiß, dass nun der Moment der Wahrheit gekommen ist. »Weil sie schwanger von ihm war. Ich bin ihre Enkelin.«
    Die alte Frau starrt mich einen Moment lang verdutzt an, doch dann zuckt sie gleichgültig mit den Schultern. »Trotzdem war alles Susannes Schuld. Allein ihre Schuld.«
    »Ich verstehe überhaupt nicht, was damals eigentlich los war«, mischt sich Felix ein und wirft seiner Großmutter einen verärgerten Blick zu. »Und ich will jetzt endlich wissen, was dadrin ist.«
    »Mach’s auf.« Felix Großmutter lacht bitter. »Na los!«
    Felix bückt sich und hebt die Deckel der Kassetten an. Ju und ich gehen auch in die Knie.
    Alles, was da vor uns liegt, funkelt in der Sonne und trotzdem sieht es irgendwie merkwürdig aus. Ich schaue genauer hin. Es ist Schmuck, goldene Ketten und reich mit Steinen besetzte Broschen und Ringe. Aber dazwischen befinden sich auch goldene Zahnfüllungen und schlichte, schmale goldene Ringe. Eheringe.
    »Was ist das?« Felix, Ju und ich schauen uns beklommen an. Ich hatte mir »den Schatz« trotz allem, was Georg in dem Brief schon angedeutet hatte, anders vorgestellt.
    Felix’ Oma wirft die Zigarette auf den Rasen, tritt sie aus, wie man Ungeziefer zermalmt, hebt sie dann wieder auf und steckt sie in ihre Rocktasche.
    »Euer«, beginnt sie und schaut mir dabei in die Augen, »euer Urgroßvater – das hat jedenfalls Georg immer behauptet – ist damals schon früh und freiwillig in die Partei eingetreten. Er war ein glühender Anhänger und Verehrer von Hitler und hat drüben in Worms, was zu der Zeit zu Hessen gehört hat, im Konzentrationslager Osthofen gearbeitet, bis es 1934 wieder geschlossen wurde. Was genau er danach gemacht hat, hat auch Georg nicht herausgefunden.« Sie schnauft, als ob ihr das Atmen schwerfiele. »Obwohl ich fünf Jahre älter war als Georg, hatte ich keine Ahnung, was mein Vater wirklich getan hatte, bevor er zum Wehrdienst eingezogen wurde. Ich hatte genug damit zu tun, den Haushalt am Laufen zu halten. Außerdem war Mutter schon lange krank. Aber das interessiert euch sicher nicht«, unterbricht sie sich selbst, »ihr wollt wissen, was mit Georg passiert ist, oder?« Sie schaut uns an, dann auf die Kassetten, und als wir alle stumm bleiben, fährt sie fort.
    »An jenem Abend hat Georg behauptet, unser Vater hätte seine Position in der Partei ausgenutzt und unrechtmäßig diese Wertgegenstände hier erbeutet.« Sie deutet auf die Kassetten und zuckt mit den Schultern, doch ihre Gesichtszüge offenbaren, dass sie nicht glauben kann, was ihre Augen da sehen. »Bis heute habe ich diesen ›Schatz‹, wie Georg ihn immer abfällig genannt hat, nie gesehen und habe auch nie so recht an ihn geglaubt. Immer musste ich an allem sparen – da ging mir Georgs Gerede von Vaters angeblichem Reichtum einfach auf die Nerven.«
    Sie zündet sich noch eine Zigarette an und inhaliert tief. Obwohl es immer noch heiß ist, fröstelt es mich.
    »An jenem Abend hat Georg unseren Vater mit all dem konfrontiert. Er wollte, dass er zugibt, was er getan hat. Und er wollte, dass Vater die Wertgegenstände in Geld umtauscht und dieses anschließend spendet, um sein Unrecht wiedergutzumachen.«
    Sie schüttelt den Kopf. »Ich hatte Georg gern, auch wenn er ein elender Sturkopf war. Ich habe nie verstanden, warum er Vergangenes nicht einfach ruhen lassen
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