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Liebesfluch

Liebesfluch

Titel: Liebesfluch
Autoren: Beatrix Gurian
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stark wie er, obwohl ich gerade eine Scheißangst habe.
    »Ich weiß nicht, ob du das verstehen wirst«, beginnt er und hört dann wieder auf.
    Falls er damit zum Ausdruck bringen will, mein Deutsch könnte zu schlecht sein, irrt er sich. Bis jetzt verstehe ich ihn sehr gut. Außerdem bin ich zweisprachig aufgewachsen.
    Er sucht etwas in seiner Jacke, zieht dann ein Stofftaschentuch hervor, tupft sich damit erst die Stirn ab, danach den Mund. Sein Körper wirkt angespannt, fast schon verkrampft und in mir steigt eine leichte Übelkeit auf. Was soll das hier alles? Ich spüre, wie meine Beine zu zittern anfangen. Mein Gefühl sagt mir, dass hier irgendetwas nicht stimmt. So hatte ich mir meine Ankunft in Deutschland wirklich nicht vorgestellt. Und wieso starrt Stefan die ganze Zeit so gedankenverloren nach draußen? Warum spricht er nicht weiter? Meine rechte Hand umklammert die Klinke, als wäre sie ein Rettungsanker.
    »Es ist nämlich so«, fängt er stockend an und dann sprudeln die Worte so schnell aus ihm heraus, dass ich ihm wirklich kaum folgen kann. »Meine Frau, Anja, also, sie war nicht sonderlich begeistert von meiner Idee, ein Au-pair-Mädchen zu engagieren. Sie glaubt, dass ihr jungen Mädchen alle nur euer Vergnügen im Kopf habt und es euch egal ist, wie es den Kindern geht. Aber ich wollte unbedingt, dass meine Frau entlastet wird, damit sie auch wieder mehr Zeit für sich hat. Seit die Kleinen auf der Welt sind, musste sie sich ständig um sie kümmern. Leider waren die Zwillinge oft krank und Anja hat sich bis zur völligen Erschöpfung für sie aufgeopfert. Ich würde ihr ja gerne beistehen und helfen, aber ich arbeite nun mal im Geschäft, schließlich muss einer das Geld verdienen. Trotzdem beklagt Anja sich immer wieder darüber, dass ich sie zu wenig unterstütze.«
    Als Stefan nach seinem Redefluss innehält und wieder nachdenklich durch die Windschutzscheibe starrt, entspanne ich mich ein bisschen und lehne mich auf dem Beifahrersitz zurück. Von was redet der Typ da eigentlich? Ich meine, ist das nicht genau der Grund, warum Leute sich ein Au-pair-Mädchen nehmen? Weil sie Entlastung brauchen. Aber was gehen mich die Familienprobleme von Anja und Stefan an?
    Leichter Ärger steigt in mir auf. Was für ein super Start! Noch nicht mal richtig angekommen und schon scheint es die ersten Schwierigkeiten zu geben! Auf solche Themen wird man von der Au-pair-Vermittlungsagentur natürlich nicht vorbereitet. Man macht den Kinderpflegekurs, sollte gut genug deutsch sprechen und Auto fahren können. Wir durften auch mit ehemaligen Au-pairs reden, aber da war nie die Rede von Problemen in der Familie, da ging es immer nur um die Kinder.
    Als Stefan dann weiterspricht, hefte ich meinen Blick auf sein Gesicht und betrachte ihn genauer. Er wirkt müde, doch die Anspannung von eben scheint von ihm abgefallen zu sein. »Und weil wir schon ein Kind verloren haben, ist sie sehr besorgt um die beiden Kleinen. Das verstehst du doch sicher, oder?«
    Was meint er mit verloren?
    »Wo habt ihr euer Kind verloren?«, frage ich, aber an seiner Reaktion erkenne ich, dass das die falsche Frage war.
    »Es ist gestorben und es war furchtbar für uns beide.« Seine Stimme ist leise und klingt trotzdem so hart wie Stahl.
    Ich lasse die Klinke an der Tür los. »Oh, das tut mir leid«, murmle ich und begreife jetzt erst, dass verloren auch tot bedeuten kann. Es muss entsetzlich traurig sein, wenn ein Kind stirbt. Da kann ich natürlich verstehen, dass seine Frau sich Sorgen um die Zwillinge macht und bestimmt hypervorsichtig ist.
    »Also lass dich von ihr nicht einschüchtern, ja?«, sagt er und wirft mir einen aufmunternden Blick zu.
    Ich nicke und plötzlich fällt die ganze Angst der letzten Minuten von mir ab. Das wollte er mir also sagen! Er wollte, dass ich gewappnet bin, bevor ich Anja gegenübertrete. Wie konnte ich nur so dämlich sein und mich derart von meiner Angst überrollen lassen? Das muss an den letzten Tagen liegen, am Abschied von zu Hause, von Grannie und Mom und Vicky. Außerdem war ich natürlich wahnsinnig aufgeregt, in ein fremdes Land zu gehen. Wochenlang habe ich versucht, mir vorzustellen, wie wohl die Familie ist, bei der ich ein Jahr lang leben werde. Und dann der lange Flug … Erschöpft mache ich es mir auf meinem Sitz bequem.
    Dann startet Stefan endlich wieder den Motor, doch noch fährt er nicht los. Als ich ihn fragend anschaue, erscheint auf seinem Gesicht ein leichtes Grinsen. »Ach, was
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