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Liebesdienste / Roman

Liebesdienste / Roman

Titel: Liebesdienste / Roman
Autoren: Kate Atkinson
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und gehofft, hübsch auszusehen, während um sie herum ihre Kommilitonen hitzig über Marxismus diskutierten. Tim, ihr damaliger Freund – ein schlaksiger Jugendlicher mit der Afrofrisur eines Weißen, bevor Afrofrisuren gleich welcher Art in Mode waren –, war einer der Lautesten der Gruppe, er fuchtelte jedes Mal mit den Händen, wenn er
Warentausch
und
Mehrwertrate
sagte, während Gloria an ihrem Gin mit Orangensaft nippte, weise nickte und hoffte, dass niemand von ihr einen Beitrag erwartete, weil sie nicht den leisesten Schimmer hatte, wovon sie sprachen. Sie studierte im zweiten Jahr Geschichte, allerdings auf eine eher oberflächliche Weise, die das Politische (die erste schottische Unabhängigkeitserklärung und den Tennisplatzschwur) zugunsten des Romantischen (
Rob Roy
, Marie Antoinette) vernachlässigte und sie bei ihren Dozenten nicht gerade beliebt machte.
    Sie erinnerte sich jetzt nicht mehr an Tims Nachnamen, sondern nur noch an die große Wolke aus Haar, die einer Pusteblume ähnelte. Tim erklärte der Gruppe gerade, dass sie jetzt alle zur Arbeiterklasse gehörten. Gloria runzelte die Stirn, weil sie nicht zur Arbeiterklasse gehören wollte, aber alle um sie herum murmelten zustimmend – wiewohl sie durch die Bank aus Arzt-, Anwalts- oder Unternehmerfamilien stammten. Da verkündete eine laute Stimme: »So eine Scheiße. Ohne Kapitalismus wärt ihr nichts, der Kapitalismus hat die Menschheit gerettet.« Und das war Graham.
    Er trug eine Lammfelljacke, eine Art Autoverkäuferjacke aus zweiter Hand, und trank allein in einer Ecke der Bar ein Bier. Er war ihr wie ein Mann erschienen, dabei war er noch nicht fünfundzwanzig gewesen, und das war nichts, wie Gloria jetzt wusste. Und dann hatte er sein Bier ausgetrunken, sich zu ihr umgedreht und gesagt: »Kommst du mit?«, und sie war von ihrem Barhocker gerutscht und ihm gefolgt wie ein Hündchen, weil er so überzeugend und attraktiv war, verglichen mit jemandem mit Pusteblumenhaar.
    Und nun ging alles den Bach runter. Gestern hatte eine Sondereinheit des Betrugsdezernats überraschend der Zentrale von Hatter-Häuser in der Queensferry Road einen höflichen Besuch abgestattet, und jetzt fürchtete Graham, dass sie jeden dunklen Winkel seiner Geschäfte ausleuchten würden. Er war spät und sichtlich mitgenommen nach Hause gekommen, hatte einen doppelten Macallen geschluckt, ohne etwas zu schmecken, war dann aufs Sofa gefallen und hatte wie ein Blinder auf den Fernseher gestarrt. Gloria briet ihm ein Lammkotelett, wärmte ihm Kartoffeln auf, und als sie fragte: »Haben sie deine geheimen Bücher gefunden?«, lachte er grimmig und sagte: »Meinen Geheimnissen werden sie nie auf die Spur kommen, Gloria«, aber zum ersten Mal in den neununddreißig Jahren, die sie ihn kannte, klang er nicht großspurig. Sie hatten ihn im Visier, und er wusste es.
    Die Wiese war es gewesen. Er hatte Land im Grüngürtel gekauft, das nicht als Bauland ausgewiesen war. Er hatte es günstig bekommen – Land, das kein Bauland war, war schließlich nur eine Wiese –, aber dann, Hokuspokus Fidibus, ein halbes Jahr später war die Baugenehmigung erteilt, und jetzt wurde am nordöstlichen Stadtrand eine scheußliche Siedlung aus »Familienhäusern« mit zwei, drei und vier Schlafzimmern gebaut.
    Eine hübsche kleine Summe für jemanden im Planungsreferat, mehr war nicht nötig, eine Transaktion, wie Graham sie schon hundertmal zuvor durchgeführt hatte,
das Getriebe schmieren
, nannte er es. Für Graham war es eine kleine Sache gewesen, seine korrupten Methoden waren so viel weitreichender und tiefgehender angelegt als eine grüne Wiese am Stadtrand. Aber es brauchte oft nur ganz wenig, dass große Männer stolperten.
     
    Kaum war der Krankenwagen mit dem Peugeot-Fahrer verschwunden, begannen die Polizistinnen, Aussagen aufzunehmen. »Hoffentlich ist was drauf«, sagte eine von ihnen und deutete auf die Kamera hoch oben an einer Mauer, die Gloria nicht bemerkt hatte. Gloria gefiel die Vorstellung, dass Kameras alle überall beobachteten. Letztes Jahr erst hatte Graham das neueste Sicherheitssystem im Haus installiert – Kameras und Infrarotsensoren und Panikschalter und weiß Gott was. Gloria mochte die hilfreichen kleinen Roboter, die mit ihren Augen den Garten überwachten. Einst sah das Auge Gottes alles, jetzt war es die Kameralinse.
    »Er hatte einen Hund«, sagte Pam und lockerte sich unsicher das apricot gefärbte Haar.
    »An den Hund erinnert sich jeder.« Die
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