Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Liebesdienste / Roman

Liebesdienste / Roman

Titel: Liebesdienste / Roman
Autoren: Kate Atkinson
Vom Netzwerk:
Lesebrille hinweg anstarrte und sie aufforderte, Rechenschaft abzulegen.
    Pam war nicht, was Gloria eine Freundin genannt hätte, sondern jemand, den sie so lange kannte, dass sie den Versuch aufgegeben hatte, sie loszuwerden. Pam war mit Murdo Miller verheiratet, dem besten Freund von Glorias Mann. Graham und Murdo waren in Edinburgh auf dieselbe teure Schule gegangen, die ihrem grundsätzlich flegelhaften Charakter einen höflichen Anstrich verliehen hatte. Sie waren jetzt beide wesentlich wohlhabender als ihre ehemaligen Mitschüler, eine Tatsache, die Murdo kommentierte mit: »Das beweist wieder mal alles.« Gloria dachte, dass es gar nichts bewies, außer dass sie womöglich gieriger und ruchloser waren als ihre einstigen Klassenkameraden. Graham war der Sohn eines kleinen Bauunternehmers (»Hatter-Häuser«) und hatte seine Karriere auf einer Baustelle seines Vaters als Ziegelträger begonnen. Jetzt war er Multimillionär und ein großer Bauunternehmer. Murdo war der Sohn eines Mannes, dem eine kleine Sicherheitsfirma gehörte (»Haven Security«), und hatte als Rausschmeißer an einer Kneipentür angefangen. Jetzt leitete er eine große Sicherheitsfirma – Clubs, Kneipen, Fußballspiele, Konzerte. Graham und Murdo hatten viele gemeinsame Geschäftsinteressen, Interessen, die weit gefächert waren und wenig zu tun hatten mit Bauen oder Sicherheit und die Treffen auf Jersey, den Cayman und Virgin Islands erforderten. Graham hatte die Finger in so vielen Angelegenheiten, dass zehn längst nicht mehr genug waren. »Geschäfte erzeugen Geschäfte«, erklärte er Gloria. »Aus Geld wird mehr Geld.« Die Reichen werden reicher, die Armen werden ärmer.
    Graham und Murdo lebten mit allem Drum und Dran der Honorigkeit – Häuser, die zu groß waren, und Autos, die sie jedes Jahr gegen ein neueres Modell austauschten, Ehefrauen, die sie behielten. Sie trugen blendend weiße Hemden und handgefertigte Schuhe, sie hatten schlechte Leberwerte und ruhige Gewissen, aber unter ihrer alternden Haut waren sie Barbaren.
    »Habe ich dir erzählt, dass wir die Garderobe im Erdgeschoss neu gemacht haben?«, fragte Pam. »Schablonendruck mit keltischem Muster. Am Anfang war ich mir nicht sicher, aber mittlerweile gefällt es mir.«
    »Mhm«, antwortete Gloria. »Faszinierend.«
    Pam war es gewesen, die zu dieser mittäglichen Radioaufzeichnung hatte gehen wollen
(Edinburgh Fringe Kabarettisten),
und Gloria war mitgekommen in der Hoffnung, dass zumindest einer der Kabarettisten komisch wäre, aber ihre Erwartungen waren nicht hoch. Im Gegensatz zu manchen Bewohnern von Edinburgh, die die Eröffnung des jährlichen Festivals ähnlich betrachteten wie die Ankunft des Schwarzen Todes, gefiel Gloria die Atmosphäre, und sie besuchte hin und wieder eine Theateraufführung oder ein Konzert in der Queen’s Hall. Was Kabarett anbelangte, hatte sie jedoch ihre Zweifel.
    »Wie geht’s Graham?«, fragte Pam.
    »Ach, du weißt doch«, sagte Gloria, »Graham ist Graham.« Das stimmte, Graham war Graham. Mehr, oder weniger, hatte Gloria über ihren Mann nicht zu sagen.
    »Dort steht ein Polizeiauto«, sagte Pam und stellte sich auf die Zehenspitzen, um besser zu sehen. »Ein Mann liegt auf dem Boden. Er scheint tot zu sein.« Sie klang aufgeregt.
    Gloria hatte in letzter Zeit viel über den Tod nachgedacht. Zu Beginn des Jahres war ihre ältere Schwester gestorben, und vor ein paar Wochen hatte sie eine Postkarte von einer alten Schulfreundin erhalten, die sie informierte, dass eine aus ihrer Gruppe kurz zuvor an Krebs gestorben war. Die Nachricht, »Jill ist letzte Woche eingeschlafen. Die Erste, die von uns gegangen ist!«, schien ihr unnötig munter. Gloria war neunundfünfzig und fragte sich, wer als Letzte von ihnen ginge und ob es sich um einen Wettbewerb handelte.
    »Polizistinnen«, zwitscherte Pam glücklich.
    Ein Krankenwagen fuhr vorsichtig durch die Menge. Die Schlange hatte sich beträchtlich nach vorn geschoben, so dass sie jetzt beide das Polizeiauto sehen konnten. Eine Polizistin forderte die Menge lautstark auf, den Veranstaltungsort nicht zu betreten, sondern zu bleiben, wo sie waren, weil sie Zeugenaussagen zu dem »Zwischenfall« aufnehmen würden. Unbeeindruckt betraten die Leute einer nach dem anderen die Lokalität.
    Gloria war in einer Stadt im Norden aufgewachsen. Larry, ihr Vater, ein mürrischer und ernster Mann, verkaufte Versicherungen von Tür zu Tür an Leute, die sie sich kaum leisten konnten. Gloria glaubte
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher