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Liebesdienste / Roman

Liebesdienste / Roman

Titel: Liebesdienste / Roman
Autoren: Kate Atkinson
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ihrer Gegenwart. Julia stand (dieses eine Mal) im Hintergrund und würdigte sein Unbehagen mit einem Zwinkern, das lüstern hätte sein können, aber er war sich nicht sicher. Vor Kurzem hatte er sich (endlich) eingestanden, dass er eine Brille brauchte. Der Anfang vom Ende, von nun an ging’s nur noch bergab.
    Die Schauspieler waren eine kleine Ad-hoc-Gruppe aus London, und als in letzter Minute die Finanzierung zu scheitern drohte, war Jackson eingesprungen, damit sie mit ihrem Stück beim Edinburgh Fringe auftreten konnten. Nicht aus Liebe zum Theater, sondern weil Julia ihn auf ihre gewohnt übertriebene Art beschwatzt und ihm geschmeichelt hatte, was unnötig war – sie hätte ihn nur fragen brauchen. Es war ihre erste Rolle seit geraumer Zeit, und er hatte angefangen sich (nicht sie, Gott bewahre) zu fragen, warum sie sich Schauspielerin nannte, wenn sie so gut wie nie auftrat. Als sie glaubte, dass sie das Engagement im letzten Moment verlieren würde, weil das Geld fehlte, war sie in einen so untypisch tiefen Trübsinn versunken, dass Jackson sich genötigt gefühlt hatte, sie aufzuheitern.
    Das Stück
Auf der Suche nach dem Äquator in Grönland
war tschechisch (oder vielleicht slowakisch, Jackson hatte nicht wirklich zugehört), ein existenzialistisches, undurchschaubares Ding, das weder vom Äquator noch von Grönland (noch von der Suche nach irgendetwas) handelte. Julia hatte das Manuskript nach Frankreich mitgebracht und ihn gebeten, es zu lesen. Sie hatte ihn dabei beobachtet und alle zehn Minuten »Wie findest du es?« gefragt, als würde er etwas vom Theater verstehen. Was er nicht tat.
    »Scheint mir … gut«, sagte er ratlos.
    »Du meinst also, ich sollte das Angebot annehmen?«
    »Auf jeden Fall, ja«, sagte er, ein bisschen zu schnell. Im Nachhinein war ihm klar, dass sich die Frage, ob sie den Job vielleicht
nicht
machen sollte, gar nicht gestellt hatte, und er überlegte, ob sie gewusst hatte, dass die Finanzierung ein Albtraum werden würde, und wollte, dass er sich irgendwie an der Sache beteiligt fühlte. Sie war keine manipulative Person, ganz im Gegenteil, aber manchmal war sie auf eine Weise hellsichtig, die ihn überraschte. »Und wenn wir Erfolg haben, kriegst du dein Geld zurück«, sagte sie gut gelaunt, als er anbot zu helfen. »Und wer weiß, vielleicht machst du Gewinn.« Das glaubst auch nur du, dachte Jackson, aber er sagte es nicht.
    »Unser Engel«, hatte ihn Tobias, der Regisseur, gestern Abend genannt und ihn in eine tuntige Umarmung gezogen. Tobias war schwuler als ein ganzes Pfadfindertreffen. Jackson hatte nichts gegen Schwule, er wünschte nur manchmal, sie wären nicht ganz so
schwul
, vor allem wenn sie ihm in einem guten, altmodischen schottischen Macho-Pub vorgestellt wurden. Ihr »Retter«, ihr »Engel« – so viel religiöser Wortschatz bei Leuten, die überhaupt nicht religiös waren. Jackson wusste, dass er weder ihr Retter noch ihr Engel war. Er war nur ein Mann. Ein Mann, der mehr Geld hatte als sie.
    Julia entdeckte ihn und winkte ihn zu sich. Ihr Gesicht war gerötet, und das linke Auge zuckte, für gewöhnlich ein Zeichen größter Anspannung. Von ihrem Lippenstift war fast nichts mehr zu sehen, und ihr Körper war mit dem Sack-und-Asche-Kostüm getarnt, so dass sie nicht wirklich wie Julia aussah. Jackson vermutete, dass der Vormittag nicht gut verlaufen war. Nichtsdestoweniger umarmte sie ihn lächelnd (man konnte über Julia sagen, was man wollte, aber sie war ein Pfundskerl), und er schlang die Arme um sie und hörte ihren Atem, feucht und flach. Der »Veranstaltungsort«, an dem sie auftraten, befand sich unter der Erde, im Bauch eines jahrhundertealten Gebäudes, ein Labyrinth feuchter steinerner Gänge, die in alle Richtungen verliefen, und er fragte sich, ob Julia hier unten überleben konnte, ohne an Schwindsucht zu sterben.
    »Kein Mittagessen?«, fragte er.
    Sie schüttelte den Kopf. »Wir sind noch nicht mal mit der Technik fertig. Wir müssen über Mittag arbeiten. Was hast du gemacht?«
    »Ich war spazieren«, sagte Jackson, »und in einem Museum und der Camera obscura. Habe mir das Grab von Terrier Bobby aus Greyfriars angeschaut –«
    »Oh.« Julia machte ein tragisches Gesicht. Wenn ein Hund, irgendein Hund erwähnt wurde, reagierte Julia reflexartig emotional, aber die Vorstellung eines toten Hundes erhöhte den Einsatz an Gefühlen noch einmal beträchtlich. Der Gedanke an einen toten
treuen
Hund war fast mehr, als sie ertragen
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