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Lieber Osama

Lieber Osama

Titel: Lieber Osama
Autoren: Chris Cleave
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Petras gebrochenen Wangenknochen wollte ich jetzt nicht nachdenken, deshalb holte ich den 5-Liter-Kanister aus der Nike-Tasche und fing an, überall Benzin zu verschütten. Über den Teppich, rund um ihren Chefsessel, dann über den Chefsessel, sogar über Petra selbst, bis ihr weißer Kaschmir-Pulli ganz durchnässt war und schwer an ihrer Haut klebte. Man konnte kaum noch atmen wegen der Benzindämpfe. Petra hustete und kam langsam zu sich. Ihre Augen tränten, Blut und Rotz liefen ihr aus der Nase.
    - Oh, bitte, um alles in der Welt, tu das nicht. Bitte bring mich nicht um, rief sie.
    Ich sagte nichts, sondern holte mein Zippo raus, ließ den Verschluss aufspringen und hielt es in die Höhe. Petra Sutherland warf sich in ihrem Chefsessel hin und her, konnte aber nicht aufstehen und rief in einem fort: Nein, nein. NEIN, NEIN, NEIN. Mein Junge achtete gar nicht darauf, er sauste lachend durch das Büro, schlug gegen die Panoramascheiben und sah auf das brennende London hinunter. GUCK MAL, MAMI, rief er und zeigte, wo: WAS BRENNT DENN DA? Das ist das neue Gebäude der Schweizer Rück, mein Schatz, sagte ich. UND DAS DA? Das ist St. Paul’s. UND DAS DA HINTEN? Sch-sch, nicht jetzt, Schatz, Mami hat zu tun.
    Ich wandte mich Petra zu und sah ihr in die Augen.
    - Gott, du bist ja vollkommen wahnsinnig, sagte sie. Mit wem redest du da, da ist doch niemand. O Gott, o Gott, o Gott, du brauchst dringend Hilfe, weißt du das? Ich, ich kann dir helfen, aber du kannst so nicht weitermachen, bitte, bitte, tu das Feuerzeug weg, dann reden wir über alles, bitte, du kriegst auch keinen Ärger, das verspreche ich dir.
    Ich sah sie nur an und fasste es nicht, dass sie mir schon wieder Versprechungen machte.
    - Warum tust du das?, sagte Petra. Bitte! WARUM?
    - Wie du schon sagtest, Petra. Wir alle müssen tun, was für unsere Kinder am besten ist.
    Da bekam es Petra erst richtig mit der Angst, sie war kreidebleich, sie zitterte und wimmerte. Ich trat ein paar Schritte zurück, um etwas Abstand zu haben, wenn das Benzin hochging. Ich rief meinen Jungen zu mir. Er drückte sich am Fenster die Nase platt und sah mit offenem Mund, wie eine riesige Feuerwalze über London rollte, sodass man nur noch die Spitzen der höchsten Gebäude erkennen konnte, die in der Hitze zu bröckeln begannen.
    - Komm her, Schatz, steh nicht im Weg.
    Ich hielt das Zippo hoch, den Daumen am Zündrädchen. Ich blieb eine ganze Weile so stehen und sah Petra heulen. Mein Junge schaute mich an.
    - Mami, worauf wartest du noch?
    Kinder können Fragen stellen, was, Osama? Ich holte tief Luft.
    - Nein, ich warte noch. Ich warte, bis ich nicht mehr das Mindeste für sie empfinde.
    - Und wie lange dauert das, Mami?
    - Ich weiß nicht.
    - Oh.
    Wie gesagt, ich stand da mit dem offenen Feuerzeug, und Petra heulte, und ich heulte auch, trotz der vielen Tabletten.
    - Mami, mir ist langweilig. Kannst du es nicht einfach so tun?
    Ich seufzte.
    - Nein, das kann ich nicht.
    Ein letztes Mal sah ich Petra Sutherland an, während hinter ihr ganz London in Flammen stand, dann nahm ich den Daumen vom Zündrädchen. Ich klappte den Verschluss zu, aber ganz langsam und vorsichtig, und stellte das Zippo ebenso behutsam auf den Schreibtisch. Ich überlegte einen Moment, dann holte ich Mr. Rabbit aus der Nike-Tasche und setzte ihn neben das Zippo. Danach nahm ich meinen Jungen an der Hand, wir gingen raus und schlossen die Tür hinter uns.

 
    D AS WAR HEUTE M ORGEN , Osama. In bin inzwischen wieder auf der Arbeit, wo soll ich auch sonst hin? Ich habe meine Tesco-Uniform angezogen, und der Filialleiter hat mich zur Sau gemacht, weil ich 2 Stunden zu spät war, aber rausschmeißen wird er mich wohl nicht. Ich meine, heute ist Heiligabend, also Großkampftag, und sie brauchen jeden Mann. Ich gehe mal nicht davon aus, dass dir Weihnachten viel sagt, Osama, aber es ist das höchste Fest in unserer Religion, und das halbe East End ist hier, um sich mit Bier und Lichterketten einzudecken.
    Gerade ist Mittagspause. Ich hätte gedacht, dass die Bullen längst hier sind, um mich mitzunehmen, aber bisher war das nicht der Fall, und so sitze ich hier im Personalraum von Tesco, esse den guten Tesco-Preishit-Hackfleischauflauf und schreibe den Brief an dich zu Ende. Es ist ganz hübsch im Personalraum, es laufen Weihnachtslieder, und ein paar von den anderen Mädchen sind auch hier und lachen und klönen. Mein Sohn sitzt mit am Tisch, macht Krallen mit seinen Händen und sagt RRRR! RRRR! Das ist
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