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Lieber Osama

Lieber Osama

Titel: Lieber Osama
Autoren: Chris Cleave
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heute Morgen bin ich zu dem Schluss gekommen, dass du doch Recht hattest. Ich meine, ich habe ja sowieso schon viel darüber nachgedacht, weil ich an den Abenden sonst kaum was anderes zu tun hatte. Manche Menschen sind so grausam und egoistisch, dass die Welt ohne sie garantiert besser dran ist. Insofern gebe ich dir Recht: Manche Menschen verdienen es zu brennen.
    Es war 7 Uhr, als die Gerichtsvollzieher mit dem Räumungsbescheid kamen. Es war nicht ihre Schuld, sie taten nur ihre Pflicht, und man sah ihnen an, dass es ihnen nicht annähernd so viel Spaß machte wie etwa mir das Regaleauffüllen. Was sie an diesem Morgen tun mussten, tat ihnen leid. Sie sahen so unglücklich aus, dass ich ihnen sagte, sie sollten das nicht so eng sehen, und ihnen eine Tasse Tee machte. Es ist komisch, ich habe diesen Moment schon so lange kommen sehen, dass es eine Erleichterung war, als sie endlich in meiner Küche standen. Sie sagten, ich sollte mir ruhig Zeit lassen mit dem Packen, aber ich sagte: Kein Problem, das geht ganz schnell. Ich tat mein Make-up und meine Harvey-Nichols-Sachen zusammen mit Mr. Rabbit in die Nike-Sporttasche. Dann nahm ich meinen Jungen an der Hand, und gemeinsam verließen wir die Wellington-Siedlung.
    Ein klarer, kalter Morgen mit blauem Himmel und vereistem Bürgersteig. Bei McDonald’s auf der Bethnal Green Road leisteten wir uns ein McBreakfast, und ich zog mir auf der Damentoilette Petras Sachen an. Vor dem Spiegel setzte ich Petras Gesicht auf und stopfte meinen alten Adidas-Jogginganzug in den Lokus. Osama, falls du dich je gefragt hast, warum die Klos bei McDonald’s permanent verstopft sind, das wäre eine der möglichen Antworten. Dann ging ich mit meinem Jungen zur nächsten Shell-Tankstelle und sagte denen, mein Wagen wäre mit leerem Tank liegen geblieben. Sie verkauften mir tatsächlich einen roten 5-Liter-Kanister, randvoll mit bleifreiem Sprit. Die Leute sind ja so was von hilfsbereit, wenn du zitternd in Hermes-Klamotten vor ihnen stehst, weil du deinen Mantel im Wagen gelassen hast. Dazu kaufte ich ein schönes silbernes Zippo-Feuerzeug. Der Mann an der Kasse füllte es für mich nicht nur mit Benzin, weil ich das Zeug nicht auf die Sachen kriegen wollte, sondern probierte es am Ende sogar aus. Bingo, eine schöne große Flamme. Bis er den Verschluss wieder zuschnappen ließ.
    Draußen steckte ich das Zippo in die Hosentasche und den Benzinkanister in die Nike-Tasche. Wir liefen bis Cambridge Heath, nahmen den D6, gingen aufs obere Deck und setzten uns ganz vorne hin. Im Bus fuhr mein Junge am liebsten ganz vorn. Er zappelte aufgeregt auf seinem Sitz, aber ich war ganz ruhig, denn ich wusste, was ich zu tun hatte. In Mile End stiegen wir in den 227er um.
    In den Büroturm an der Canary Wharf zu kommen war kein Problem, die Security-Typen nickten mich sofort durch. Immerhin war ich Petra Sutherland, die aus der bekannten Fernsehshow. Ich stieg mit meinem Jungen in den Aufzug und fuhr bis zur Sunday Telegraph- Etage . Das Mädchen am Empfang war leicht verwirrt, weil sie mich an dem Morgen schon mal gesehen hatte. Ich lächelte ihr zu und sagte, ich hätte nochmal zum Wagen gemusst wegen meiner Sportsachen. Dabei hielt ich die Nike-Tasche hoch. Das Mädchen lächelte und drückte mir die Tür auf.
    Petra telefonierte gerade, als ich mit meinem Jungen ihr Büro betrat. Sie hatte mir den Rücken zugewandt und sagte: ICH HABE AUSDRÜCKLICH GESAGT TARTAN, NICHT PLAID, DAS WEISS ICH GANZ GENAU. Sie drehte sich erst nach mir um, als sie hörte, wie hinter ihr die Tür ins Schloss klickte. Petras Büro war ein Traum, es lag genau an der Ecke des Turms, von dort oben konnte man ganz London überblicken mit seinen blitzenden Gebäuden unter dem stahlblauen Himmel.
    Petras Mund ging auf, aber ich gab ihr keine Gelegenheit mehr, was zu sagen. Ich fand, sie hatte genug gesagt. Ich schnappte mir das massive Kristallding für die Kolumnistin des Jahres vom Schreibtisch und knallte es ihr an den Kopf Benommen fiel sie in ihren Chefsessel zurück. Ich warf einen schnellen Blick durch die Glaswände ringsum. Niemand guckte. Dann ließ ich überall die Jalousien runter und drehte an der Stange, damit uns keiner sehen konnte.
    Ich schaute auf Petra. Es war klar, dass ich ihr den Wangenknochen gebrochen hatte. Mir wurde ganz flau, weil mir zugleich einfiel, wie ich diese Wange mal geküsst hatte. Wie ich mich aus der Badewanne gestreckt hatte, um sie im flackernden Kerzenschein zu küssen. Aber über
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