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Lieber Onkel Ömer

Titel: Lieber Onkel Ömer
Autoren: dtv
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nächsten Morgen die Küche wieder für mich alleine
     zu haben. Aber falsch gedacht! Diese fremde Frau ist seit Tagen ununterbrochen bei uns! Eminanim sagte, sie sei ihre Jugendfreundin,
     und machte mich mit ihr bekannt. Was will sie hier so lange, was hat sie vor? Ich werde es herausfinden und Dir im nächsten
     Brief schreiben. Hoffentlich ist sie bald wieder weg. Gute Nacht!

Grippesaison
    Mein lieber Onkel Ömer,
     
    wie geht es Dir, und wie geht es meiner lieben Tante Ülkü? Wie geht’s der hübschen Kuh Pembe, wie geht’s der schwarz gepunkteten
     Ziege Fatima, wie geht’s Deinem störrischen Esel Tarzan, und wie geht’s unserem guten alten Dorfvorsteher Hüsnü?
     
    Lieber Onkel Ömer, was eine Grippe ist, das weißt Du ja!
    Wenn uns Männer diese hinterhältige Krankheit grauenhafterweise überfällt, liegen wir zwangsläufig im Sterben und müssen wochenlang
     vor dem Fernseher das Bett hüten. Grippekranke Männer muss man selbstverständlich mit tausend verschiedenen Medikamenten und
     dem leckersten Essen ganz langsam und sehr mühsam wieder aufpäppeln. Wenn die Frauen sich anstecken, passiert ihnen dabei
     komischerweise gar nichts. Sie können mit einer Grippe weiterhin munter hin und her laufen, stundenlang in der Küche kochen,
     putzen, abwaschen und von morgens bis abends problemlos die Kinder versorgen. Wie man sieht, ist die Welt wahrhaft ungerecht!
     Sogar von den Krankheiten werden die Frauen bevorzugt behandelt. Offenbar hat der liebe Allah extra für das schwache Geschlecht
     eine harmlosere Variante der Grippe erschaffen. Die Wege des Herrn sind unergründlich – das muss wohl |17| so sein, damit die Frauen nicht wie die Dinosaurier einfach von der Bildfläche verschwinden. Aber extrem ungerecht ist das
     Ganze trotzdem!
    Du weißt als lebenserfahrener Mann nur zu genau, was eine richtige Männergrippe ist, aber was eine Grippesaison ist, das weißt
     Du nicht, Onkel Ömer! Sei froh darüber.
    Diese sogenannte Grippesaison fängt in Alamanya immer im November an und dauert bis Ende März, also den ganzen Winter. Aber
     die Hochphase, also die besonders gefährliche, in der auch die ganzen Boulevardblätter angesteckt werden und nur noch von
     Rhinovirus und Grippewelle faseln, ist im Januar. Die Hälfte der Arbeiter bleibt in dieser Zeit zu Hause, die ganzen frechen,
     rotznasigen Kinder schwänzen die Schule, und sogar mein tapferer Ford-Transit weigert sich, während dieser Saison anzuspringen.
    Die Hälfte der deutschen Bevölkerung macht also blau und hockt gemütlich zu Hause, und die andere Hälfte liegt mit rotem Kopf
     und triefender Nase schweißgebadet im Bett.
    Und ich bekomme in der Grippesaison immer regelrechte Wahnvorstellungen. Es ist zum Verrücktwerden, ich fühle mich ständig
     verfolgt! Aber nicht von dunklen Mächten, wie der CIA, dem türkischen Geheimdienst oder dem deutschen Verfassungsschutz, sondern
     von diesen rücksichtslosen Kreaturen, die unaufhörlich husten, niesen, rotzen und spucken, um ihre Bazillen in die Welt hinauszuschießen
     – besonders gerne tun sie das, wenn sie es geschafft haben, sich in meine Nähe zu schleichen.
    Wenn ich im Winter zum Beispiel morgens Brötchen |18| kaufen gehe, niest die Verkäuferin erst mal mit viel Lärm quer über die Theke, sodass ich mich spontan für das in Folie eingepackte
     Brot entscheide. Gehe ich mal in den Imbiss, höre ich wenig später lautes Gehuste aus der Küche und suche sofort das Weite,
     was aber nicht immer klappt. Meistens bestehen die Kellner darauf, dass ich gefälligst bezahle, was ich bestellt habe. Aber
     ich sehe nicht ein, dass ich für matschige Nudeln mit Tomaten-Bazillen-Soße auch noch blechen soll.
    Das wirklich Tragische an der Sache ist, dass diese hinterhältige deutsche Männergrippe mit unseren naiven türkischen Mittelchen
     einfach nicht zu bekämpfen ist. Ich esse jeden Tag eine ganz große Knolle Knoblauch und ein Säckchen rohe Zwiebeln, ich koche
     literweise Engelgras (Melekotu), oder ich lasse eine große Handvoll Vogelzunge (Kus¸dili) über Nacht in Wasser ziehen – aber
     das nützt alles nichts. Für deutsche Ohren klingen Engelgras und Vogelzunge wie Indianerrezepte, sagt mein Arbeitskollege
     Hans von Halle 4.
    Dann ist es wohl wahr, was ich gestern in der Zeitung gelesen habe: Ein amerikanischer Wissenschaftler hat herausgefunden,
     dass die Indianer in Wirklichkeit von uns Türken abstammen. Das erklärt auch, warum ich immer so am Heulen bin, wenn
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