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Lieber einmal mehr als mehrmals weniger

Lieber einmal mehr als mehrmals weniger

Titel: Lieber einmal mehr als mehrmals weniger
Autoren: Dieter Moor
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Bischöfen, den Grundbesitzern und Warlords dumm gehalten und für dumm verkauft wurden, waren sie wenig gebildet und hatten nichts dazulernen können, außer wie man jemandem den Kopf zu Brei haut. So bewarben sich die Davongelaufenen im Ausland als bezahlte Profi-Krieger. An ihrem elenden Leben, das sich in der Fremde sogar noch viel elender anfühlte als in der Heimat, hingen sie wenig. Und wenig schreckte sie Gevatter Tod, der ihnen fast schien wie ein Erlöser, der sie ins Jenseits begleiten würde, wo man sich immerhin erhoffen durfte, es käme dort wenigstens nicht noch himmeltrauriger, als es hienieden schon war.
    Mit dieser inneren Grundeinstellung unterschieden sie sich in nichts von den heutigen Gotteskriegern: Sie gaben die perfekten Schlacht-Roboter ab. Andere kämpften fürs Vaterland, für den König oder den Fürsten, für die Freiheit oder um ihre Habe. Die Eidgenossen kämpften für das eigene Seelenheil in alle Ewigkeit. Das heißt: ohne Angst und ohne Gnade. Das heißt: besser als alle anderen. Ein Söldner, der den Tod sucht, ist ein guter Söldner, ein Söldner, der den Tod gefunden hat, ist ein Söldner, der seinen Zweck erfüllte. (Mit dem angenehmen Nebeneffekt, dass ein toter Söldner am Ende des Monats seinen Sold nicht einfordert. Eine echte Win-win-Situation für den Kriegsherrn.) Nur ein toter – oder wenigstens verzweifelter – Schweizer also galt als ein guter Schweizer.
    Bis heute
sagen die Schweizer, wenn sie sich richtig freuen über etwas, was sie richtig gut finden: «Ich verrecke!» Und bis heute fühlen sich die Schweizer nicht gut, wenn es ihnen gutgeht. Obwohl sie sich natürlich nach dem Gutgehen sehnen, weil sie es ja in den Genen haben, das Wissen, wie es ist, wenn’s nicht gutgeht. Ein Widerspruch, der die Schweizer
bis heute
immer wieder verzweifeln lässt und sie somit zu guten, weil verzweifelten Schweizern macht.
    Sie wurden jedenfalls auf den damaligen Schlachtfeldern Europas gerne in Kriegsdienste gestellt, die verzweifelten guten Schweizer. Der Vatikan schwört
bis heute
auf seine Schweizer Garde. Obwohl er über gar keine Schlachtfelder mehr verfügt. Aber
bis heute
schaffen es diese Schweizer Söldner, selbst ohne vorhandene Schlachtfeldgegner gute Schweizer Söldner zu sein: durch sporadisch veranstaltete Selbst-Schlachtungen. Wo ein Wille ist, ist auch ein Weg.
    Aber worauf ich ja eigentlich hinauswollte, o engelsgeduldiger Leser, ist, dass es damals trotz allem, durch entgegen allen denkbaren Wahrscheinlichkeitsrechnungen eben doch eingetretene Zufälle vorkommen konnte, dass der eine oder andere Exsöldner außerplanmäßig plötzlich und lebendig zurückkehrte in sein Tal. Auf seinen Berg. Auf seinen Hof. Zu seiner Scholle. Natürlich war inzwischen längst nichts mehr davon «seines». Man hatte ja wirklich nicht damit rechnen können, dass der noch mal wiederkommt. Die Zurückgebliebenen waren ja nicht so zurückgeblieben, dass sie nicht die ehernen Gesetze der Helveten gekannt hätten, die da lauteten: Nur ein verzweifelter Schweizer ist ein guter Schweizer. Nur ein toter Söldner hat seinen Zweck als guter Schweizer erfüllt.
    Und jetzt? Steht da plötzlich und unverhofft der Seppli! Und ist zurück. Weder tot noch verzweifelt. Das ist doch verdächtig, oder? Kommt dahergelaufen, der Seppli, ohne seinen Zweck erfüllt zu haben. Kommt zurück als Dahergelaufener, als schlechter Schweizer, das ist nicht gut. Das ist unschweizerisch. Und jetzt meint dieser Seppli, er könne einfach wieder dahergelaufen kommen und sich an den gedeckten Tisch hocken. Meint er. Zu uns. Die wir auch ohne ihn schon ausreichend gut verzweifelt sind. Meint er. Aber der muss dann etwa gar nicht meinen, hä. Vorsicht, hä, Vorsicht ist geboten, jetzt heißt es: gut Obacht geben, was der will und was der Seppli meint, meinen zu können, hä.
    Bis heute
begrüßen sich Schweizer, die sich lange nicht gesehen haben, traditionell mit dem vorwurfsvoll betonten Satz: «Ja, wo kommscht
du
denn her?» oder «Ja, was machscht
du
denn da?», wobei sich der Fragende wie unter Zwang umsehen muss, ob denn jetzt, wo der andere auch noch da ist, ob es denn da noch genug Platz habe, für einen selbst und auch noch diesen anderen.
    Der so Begrüßte muss natürlich jetzt alles tun, um den Imagewechsel zu schaffen, vom dahergelaufenen zum guten Schweizer, um das Ruder herumzureißen. Schwierig, wenn man ja leider offensichtlich nicht tot ist … Also ist zumindest die glaubwürdige Präsentation
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