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Lieber einmal mehr als mehrmals weniger

Lieber einmal mehr als mehrmals weniger

Titel: Lieber einmal mehr als mehrmals weniger
Autoren: Dieter Moor
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gute Laune hätte, weil ich alle meine Pflichten erfüllt habe, dann würde ich, also wirklich, ich bin, also ich weiß auch nicht.» Gekonnt ließ ich meine Stimme vor Empörung leise vibrieren.
    Sonja blieb ganz cool. Sie schnappte sich ein leeres Blatt Papier – weiß der Geier, woher sie das in ihrem Ozean aus bedruckten Zetteln hervorgezaubert hatte –, legte es vor sich hin, griff gezielt unter einen Haufen Weidezaunzubehörkataloge und zog einen perfekt gespitzten Bleistift darunter hervor. Während sie schrieb, murmelte sie vor sich hin: «Tu … du … lis … te … di … ta.»
    «Was wird das denn?», mökte ich.
    «Deine To-do-Liste, Dieter.»
    «Aber …»
    «Erstens», machte sie in einem Ton, der deutlich ankündigte: Das werden ganz, ganz viele To-Do’s, «hast du deine Spesenabrechnungen auf dem neuesten Stand?»
    «Die Spesenab …, jaaa, schon, denk ich. Oder?»
    «Die letzte, die ich von dir habe, ist vom …» Sie wuchtete zielsicher einen Ordner, der unter einem Berg Dutzender anderer Ordner auf dem Boden gelegen hatte, auf den Schreibtisch, ließ ihren Daumen durch die Aktenreiter gleiten und öffnete ihn. «… vom Vor-vor-Monat.»
    «Ach?», staunte ich. «Ich hab doch gerade erst kürzlich den verdammten Zettelkrieg hinter mich gebracht.» Tatsächlich hatte Sonja recht: Ich verdrängte die mühsame Quittungen-Ordnerei und Spesenrechnungen-Schreiberei regelmäßig total, sodass der Belegeberg erschreckende Ausmaße angenommen hatte, was mich enorm motivierte, ihn noch totaler zu verdrängen.
    Ich notierte innerlich: Nunmehr aufgedeckte Verdrängung Nummer eins: die Spesenanrechnungen.
    «Du kamst einfach nicht dazu, mein lieber, armer Maaaan, gell?» Sonja blinzelte mir zu. «Wenn du gerade keine Lust dazu hast, morgen ist ja auch noch ein Tag. Stattdessen könntest du dich heute um die Heuluke kümmern, du erinnerst dich, da muss ein Geländer hin, das hat die Berufsgenossenschaft angemahnt, wegen der Sicherheit und der Versicherung.»
    «Ja, gut … äh … bis wann muss das noch mal gemacht sein?»
    «Der Herr Wimmer kommt rum in …» Sie klickte auf ihren Computer und hatte das Datum innerhalb von drei Sekunden. «In sechs Tagen isser da. Wäre gut, wenn du das heute machen könntest, ab morgen hast du dann ja wieder keine Zeit, weil du ja dann sicherlich die Spesenabrechnungen machen wirst. Also: Was du heute kannst besorgen …»
    «Da muss ich aber vorher noch …»
    «Das Material beschaffen, ich weiß. Drum ist es ja so gut, dass du jetzt so viel freie Zeit hast.»
    Ich notierte: Aufgedeckte Verdrängung Nummer zwei: Material für Heulukengeländer und Heulukentürchen besorgen; aufgedeckte Verdrängung Nummer drei: Heulukengeländer und -türchen zusammenzimmern und montieren.
    «Aber wenn es dir jetzt nicht so zusagt, zum Holzhändler und in den Baumarkt zu fahren, was ich gut verstehen kann, wo du doch so wenig Zeit hier auf dem Hof verbringen kannst, wäre da noch die Werkstatt zu machen.»
    «Was ist los mit der Werkstatt?», fragte ich unschuldig, obschon in mir bereits verdrängte Bilder des Chaos, das sich dort breitgemacht hatte, aufstiegen. Vermutlich Kobolde oder andere Quälgeister hatten die perfekte Übersicht, die in jeder Werkstatt zu herrschen hat, in ein Durcheinander von Bohrern, Schraubenschlüsseln und -ziehern, alten Drahtstücken, Zaunbaumaterial, Bohrmaschinen, Sägen, heimatlosen Schrauben und Schräubchen, Nägeln, Stiften, Zangen, Zapfwelleneinzelteilen, Ölkännchen, Glühbirnen, Glühbirnenfassungen, Kabeln und Tausenden von Dingen verwandelt, die man weder versorgt noch weggeschmissen hatte und die darauf warteten, ein Zuhause zugewiesen zu bekommen.
    «Die Werkstatt, aha, ja richtig, da könnte … Ist es denn schlimm?», fragte ich, in der Hoffnung, das Problem gleich wieder verdrängen zu können, weil Sonja sagen würde, nööö, so richtig schlimm sei es noch nicht.
    Doch meine Frau hob abwehrend ihre Hände und sagte: «Ich weiß nur, dass du, als du vor zwei Wochen die Badezimmerlampe, die wir vor drei Monaten gekauft hatten, aufhängen wolltest, dass du da fast eine Stunde in der Werkstatt verschwunden warst. Auf der Suche nach dem Phasenprüf-Schraubenzieher.»
    Jetzt fiel es mir wieder ein: Tatsächlich hatte ich den Phasenprüfer erst am nächsten Tag gefunden, nachdem ich zum Werkzeugladen in Schmachthagen gefahren, einen neuen gekauft, die verdammte Lampe aufgehängt und dafür insgesamt einen ganzen Nachmittag
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