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Liebe und andere Parasiten

Liebe und andere Parasiten

Titel: Liebe und andere Parasiten
Autoren: James Meek
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zurück nach Daressalam, und dieser war zunächst dankbar, der nördlichen Hemisphäre entronnen zu sein.
    Stephanie kam sie besuchen und war enttäuscht, als sie feststellen musste, dass keine Jungbrunnentherapie in Planung war und es keine Warteliste gab, auf die sie ihren Namen setzen konnte. »Ich wäre auch mit der Hälfte zufrieden«, sagte sie, »wie bei Becs Impfstoff. Fünfzig Prozent Unsterblichkeit.« Maureen kam ohne Lewis, den sie » unterm Dach zurückgelassen« hatte, und holte sich einen Sonnenstich, als sie in der Nachmittagshitze Rosen pflanzte, obwohl der Gärtner sie haareraufend anflehte, den Spaten wegzulegen.
    Manchmal lieferte Batini ihre Tochter auf dem Weg zum College ab, wo sie sich zur Anwaltsgehilfin ausbilden ließ, und Leo und das kleine Mädchen spielten dann unter Zuris Aufsicht auf der Veranda. »Wann wirst du dein nächstes Kind bekommen?«, fragte Zuri öfter, und Alex merkte, dass er immer weniger darauf hoffte. Er bildete sich ein, Heimweh nach dem Norden zu haben, nach den vier europäischen Jahreszeiten, Winterfrösten und langen Sommerabenden. Aber er hatte kein Heimweh; er hatte Vergangenheitsweh, die Wehmut, die jeden heimsucht. War Bec auch die Hürde, die ihn an der Heimkehr hinderte, war Leo auch die Zukunft, so waren sie doch seine Familie, die einzige Medizin gegen den Verlust der vergangenen Zeit.
    Die Vorstellung, der Chronase-Komplex könnte das Tor zur Unsterblichkeit sein, war für Alex’ wissenschaftliche Kritiker ein leicht abzuschießendes Ziel, doch am meisten Hohn und Spott wurde über seine unbewiesene Spekulation ausgegossen, dass die molekulare Uhr nicht von einer Generation zur nächsten zu zählen aufhörte. Mit der Zeit gewann die Chronase-Theorie eine gewisse Anhängerschaft, und erste Anzeichen sprachen dafür, dass sie, in der Medizin angewandt, ein paar Menschen ein längeres Leben ermöglichen würde. Alex stellte fest, dass sein Ansehen nicht zerstört, sondern anders geworden war; dass er durch seinen Blick in den Abgrund der Schande, verbunden mit der Tatsache, dass er tatsächlich eine Entdeckung gemacht hatte, etwas geworden war, was er sonst in seiner Zeit nicht hätte werden können: ein berühmter Wissenschaftler. Er stellte fest, dass es etwas gab, was den Nachrichtenkonsumenten noch lieber war als die Geschichte vom Aufstieg und Fall eines Mannes, nämlich ein kontinuierliches Aufsteigen und Fallen, ein Prozess, in dem er jedes Mal mit neuen Narben, neuen grotesken Lasten beschwert aus dem Abgrund zurückkehrte.
    Am Tag nach Rose’ Ankunft nahmen sie die Fähre nach Sansibar, Bec, Rose, Leo und Alex, und kampierten an einem stillen Strand, an dem das Wasser bis weit ins Meer hinaus flach war. Alex ging an einem Kiosk Getränke holen. Rose lag in ihrem Bikini auf einem Handtuch, auf die Ellbogen gestützt. Leo saß unter einem Schirm und buddelte unter Becs Aufsicht mit einem Plastikspaten im Sand. Ein Weilchen noch, dachte Rose, dann wollte sie ins Wasser laufen.
    »Mir gefällt’s hier«, sagte sie. »Ihr müsst echt glücklich sein.«
    »Ich versuche, nicht darüber nachzudenken«, sagte Bec. »Manchmal möchte man meinen, dass man die Gegenwart nur deshalb genießt, weil man sich auf die Sehnsucht danach freut, die man später empfindet.«
    »Dann denk halt nicht drüber nach!«, sagte Rose. Sie sprang auf und lief zum Meer, und Bec blickte ihr nach und wunderte sich, wie die Welt es schaffte, ein junges Mädchen nach dem andern auszustoßen wie in der Luft züngelnde Flammen.
    Bec strich Leo mit den Fingern die Haare aus den Augen, obwohl sie gleich wieder zurückfallen würden, obwohl er das nicht leiden konnte. Sie wollte ihn einfach berühren. Sie fand den Gedanken furchtbar, sie könnte die Gelegenheit zu einer Berührung verpassen, die sich nie wieder bieten würde. Er quengelte protestierend und schüttelte den Kopf und buddelte noch energischer. Er war erst zwei, und schon jetzt musste sie sich mit seiner Selbstständigkeit arrangieren.
    »Was glaubst du denn, was da unten ist?«, sagte sie. »Silber? Gold? Uran?« Sie fing an, aus seinem Aushub ordentliche Sandkegel zu formen. Die Geschichte vom Babybjörnen hatte ihr genutzt, doch es war gar nicht so oft vorgekommen, wie man ihr nachsagte. Einen Säugling herumzutragen war eine Sache, Lobbyarbeit mit ihm zu machen eine andere. Es war anstrengend, ein Baby in eine Präsentation einzubauen. Es schrie, es schiss, es kotzte, es wollte die Brust haben. Was man an Dramatik
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