Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Liebe und andere Parasiten

Liebe und andere Parasiten

Titel: Liebe und andere Parasiten
Autoren: James Meek
Vom Netzwerk:
ausräumen wollte und du allein am Küchentisch gesessen hast und wir geredet haben.«
    »Kann ich mich nicht mehr dran erinnern.«
    »Du bist um den Tisch herumgegangen und hast gespielt, du wärst ein großer Vogel. Ich muss immer daran denken, was du damals gesagt hast. Ich erzähle den Leuten immer, dass wir auf einer großen Wanderung sind und dass wir im Flug geboren werden, geboren, um durch die Zeit zu fliegen.«
    Alex sagte erneut, er könne sich nicht erinnern. Und trotzdem sah er glücklich aus, als hätte sie etwas zu ihm gesagt, wonach er sich gesehnt hatte. Er runzelte die Stirn und lächelte und machte den Mund auf, als ob er ihr widersprechen wollte; als ob er, weil er eben Alex war, sich selbst widersprechen wollte.
    Alex nahm an, dass Bec ihn liebte, obwohl ihm ihre Jähzornanfälle, kaum begonnen, schon vorbei, mehr zu werden schienen. Er fragte sich, ob sie ihm feste Zornrationen verabreichte, ähnlich einer täglichen Vitamindosis, damit er wachsam blieb. Es fiel ihm immer schwerer, sich die Zelle bildlich vorzustellen; er vertraute mehr auf Diagramme. Ich kann mich nicht konzentrieren, dachte er und erkannte, dass es nicht sein Problem war, sich im Kopf nicht auf die Zelle konzentrieren zu können, sondern nicht mehr so leicht in seine innere Welt abtauchen zu können wie einst, als er wusste, dass Maria ihm ihre ganze Aufmerksamkeit schenkte. Bec schenkte ihm nicht ihre ganze Aufmerksamkeit. Sie brauchte selbst welche, um die Rätsel zu betrachten, die sie bedrängten, genau wie er. In dieser Ungewissheit, schien es Alex, gedieh die Liebe, wie sie in seiner absoluten Gewissheit, dass Maria ihm gehörte, verkümmert war.
    Er machte die Erfahrung, dass ihm seine Manie um ein natürlich gezeugtes Kind mit Leos Geburt als der blanke Irrsinn erschien. Nicht geirrt jedoch hatte er sich darin, dass er seinen Sohn kennenlernen, ihn nicht bloß haben wollte. Es war weniger der Überbau väterlicher Liebe, was ihm das Herz rührte, wenn er den Jungen im Arm hatte. Die Liebe zu ihren Kindern, von der die Leute redeten, kam ihm wie eine gemütliche, zuverlässige alte Bürokratie vor, die deshalb existierte, damit der Vater das System austricksen und etwas auf die Beine stellen konnte, das tatsächlich funktionierte, ein von Glück und Instinkt zusammengehaltenes Konstrukt, das sie durch die Gefahren trug und gelegentlich so etwas wie Freude abwarf.
    Nachdem Harrys Leichnam exhumiert worden war, hatte Alex nicht länger Leiter des Belford Institute bleiben können. Die Autopsie brachte kein eindeutiges Ergebnis, wie Alex und seine Unterstützer es vorhergesagt hatten, und die Möglichkeit eines Strafverfahrens schwand, doch zu dem Zeitpunkt hatten die Medien Alex’ Ansehen längst zerfleddert. Er wurde vom Vorstand gerügt; er trat zurück und stellte fest, dass er nach der Begleichung von Anwaltskosten und einem unerwarteten Steuerbescheid über die Nutzung eines mietfreien Hauses im teuersten Teil von Islington pleite war.
    Matthew und Lettie fochten das Testament vor Gericht an, und in der Zwischenzeit hätte Harrys altes Haus leer gestanden, wenn nicht eine Gruppe von Hausbesetzern, die gegen die soziale Ungleichheit in London protestierten, darin eingedrungen wäre. Die Hausbesetzer, jung, radikal und studiert, wurden berüchtigt für ihre nächtlichen Partys, auf denen sie tanzten, tranken, Drogen nahmen, vögelten und über Kunst, Religion und Philosophie diskutierten. Der Ausdruck »Citron Square« wurde gleichbedeutend mit einem bestimmten Männertyp, bärtigen, priesterlichen jungen Atheisten mit V-Kragen-Pullovern, Krawatten und hautengen Jeans.
    »Citron Square« war einer der Begriffe, die die Comrie-Shepherds der Kultur ihrer Zeit vermachten; der andere war »babybjörnen«. Wenn sich irgendwo auf der Welt zwei Mitglieder der globalen Medikokratie zusammenfanden, stellte eines dem anderen mit hoher Wahrscheinlichkeit die Frage: »Sind Sie auch schon gebabybjörnt worden?«, und bezog sich damit auf die Erfahrung, wie Dr. Rebecca Shepherd, den Säugling vor den Bauch geschnallt, in sein Büro gekommen war, um Gelder, Unterstützung, Stimmen oder Ausbildung für einen internationalen Malaria-Impfstoff-Komplex einzufordern, der in Daressalam gebaut werden sollte. Sie waren sich einig, dass Shepherd naiv, schamlos, nervtötend hartnäckig war; und doch bekam sie, was sie wollte, und sie schüttelten lachend den Kopf und fragten sich, was wohl einmal aus dem Jungen werden würde. Bec zog mit Alex
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher