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Teufelswasser

Teufelswasser

Titel: Teufelswasser
Autoren: Stefan Fröhling & Andreas Reuß
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I
    ER WAR BAR ALLER KLEIDER. Der Moraltheologe Dr. Philipp Erasmus Laubmann saß nackt, wie sein Schöpfer ihn geschaffen hatte, auf einem gepolsterten Stuhl. Obwohl, ganz nackt war er nicht. Einen Rest von Scham durfte er sich bewahren und seine feingerippte weiße Unterhose anbehalten. Schließlich handelte es sich nicht um eine staatlich verordnete Musterung, sondern um eine Untersuchung durch den Badearzt, den er freilich erst seit einigen Minuten kannte.
    Dr. Rüdiger Pabst war im Alten Kurbad des bayerischen Staatsbades Bad Kissingen tätig. Er war Ende dreißig, schlank, braungebrannt und sportlich, spielte Tennis oder Golf und ging regelmäßig in die Sauna. Um seinen starken Haarausfall, sein einziges Manko, zu verbergen, hatte er sich eine Glatze rasiert. Als Badearzt hatte er die Aufgabe, zu Beginn einer Kur, während der Kur sowie am Ende derselben die Patienten zu untersuchen, um die erstrebten Veränderungen ihres Gesundheitsstatus' zu dokumentieren. Außerdem war er für die Verordnung der einzelnen medizinischen Anwendungen verantwortlich.
    Philipp Laubmann war gestern, am Ostermontag, auf Anraten seines Hausarztes, Dr. Möbius, und auf Drängen seiner Mutter, Rose Laubmann, nach Bad Kissingen gekommen, um eine dreiwöchige Kur zu beginnen. Nicht ganz freiwillig also und zudem auf eigene Kosten. Das heißt, seine Mutter hatte ihm was dazugegeben, weil sie um seine Gesundheit besorgt war.
    Er war in letzter Zeit noch etwas fülliger geworden, was Philipp selbst jedoch nicht negativ bewertete. Er hielt seinen körperlichen Zustand nicht für unästhetisch, und sein «geringfügiger Bauchansatz» war ihm, wie er meinte, auf dem schmalen Grat seines Lebenswegs bisher kaum in die Quere gekommen; ja es war ihm wiederholt gelungen, Frauen in dem Glauben zu wiegen, dass er alsbald seine Körperfülle mit seiner geistigen Fülle zu einer imposanten Gesamtpersönlichkeit würde vereinigen können. Gleichwohl war der Erfolg dieser Glaubensarbeit meist vorübergehender Natur.
    Dr. Laubmann war mit seinen eins Komma fünfundsiebzig Metern kleiner als Dr. Pabst. Und so braungebrannt war er auch nicht. Er trug eine Brille, die er für die Untersuchung hatte ablegen müssen, hatte schmale Lippen, eine etwas breitere Nase und eine hohe Stirn. Dass seine glatten blonden Haare schütter geworden waren, verband ihn jedoch mit dem Arzt. Laubmann galt in Kirchenkreisen eher als redselig, Pabst in Kurbadkreisen eher als wortkarg.
    Der Behandlungsraum war modern, aber nicht übertrieben luxuriös ausgestattet. Nur der cremefarbene halbhohe Schrank, in dessen Regalaufsatz wissenschaftliche Standardwerke und Heilverordnungsverzeichnisse schief aneinandergereiht waren, sowie der gleichfarbige Schreibtisch, der wie desinfiziert wirkte, gingen auf die Entwürfe eines extravaganten Designers zurück.
    Auf dem Tisch, an dessen Seite Laubmann auf einem Stuhl Platz genommen hatte, lagen neben diversen Krankenblättern auch die mitgebrachten hausärztlichen Unter lagen des Moraltheologen, und auf dem blendend sauberen Computerbildschirm war die Datei mit dem Patienten-Vorgang Dr. Philipp E. Laubmann geöffnet.
    Um diesen «Vorgang» zu erweitern, hatte der Badearzt bei seinem Patienten soeben den Blutdruck gemessen und forschte jetzt an Laubmanns linker Armbeuge nach einer geeigneten Ader für eine Blutentnahme. Er stach die sterile Hohlnadel unter die Haut, wobei Philipp wegsah, und das Blut des Theologen rann in das Röhrchen.
    «Ihnen wird hoffentlich nicht übel dabei.» Dr. Pabsts Worte klangen ermahnend.
    «Ich wäre nicht der erste Märtyrer der Kirchengeschichte», antwortete Dr. Laubmann ebenso scherz- wie standhaft, während er ein Pflaster verpasst bekam.
    «Legen Sie sich bitte mal dort drüben auf die Liege.»
    Das Leder der Liege war rot gefärbt. ‹Damit man das Blut nicht so sieht›, befürchtete Laubmann. Und das Leder fühlte sich kalt an. Er war ja noch immer beinahe ganz nackt. «Kann ich meine Unterhose anbehalten?» – Wenigstens waren, als Philipp der Bauch abgetastet wurde, die Hände das Arztes nicht kalt.
    «Ihr Kirchenleute seid doch wirklich zu schüchtern.» Pabst schüttelte sardonisch den Kopf. «Steht nicht am Anfang der Bibel bereits etwas über die Scham, als Adam und Eva erkannten, dass sie nackt waren?»
    «Die Paradieserzählung ist sehr vielschichtig. Freilich soll durch die von Ihnen angesprochene Textstelle der ‹Genesis› nicht so sehr eine Sündhaftigkeit des Geschlechtlichen
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