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Liebe und andere Parasiten

Liebe und andere Parasiten

Titel: Liebe und andere Parasiten
Autoren: James Meek
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einer wunderlichen Fremden, mit der er gern ins Gespräch gekommen wäre und nicht wusste, wie, und dass sie ihn genauso anblickte. Es kam Rose so vor, als würden sie sich nach den vier Jahren, die sie zusammen waren, immer noch nicht restlos verstehen und als würde sie das nicht abstoßen, sondern näher zusammenbringen. Sie überlegte, wie es wohl war, wenn man über alles, was man von jemandem wusste, hinwegsteigen musste, um dort hinzugelangen, wo das anfing, was man nicht wusste, und dann fortzuschreiten ins Unbekannte. Sie glaubte nicht, dass sie die Geduld dafür hätte. Na ja, sie waren schließlich Wissenschaftler. Sie hatte für Wissenschaft keinen rechten Nerv, aber das hier zu beobachten machte ihr Spaß.
    Alex nahm Bec den Jungen ab, stellte ihn hin und fragte ihn, ob sie Rose etwas zum Frühstück machen sollten, und Leo war der Meinung, das sollten sie.
    »Rose findet, dass Leo dir ähnlich sieht«, sagte Bec. Sie starrte Alex durchdringend an, als ob die Bemerkung, dachte Rose, der schlüssige Beweis in einem Streit wäre, den sie hatten; und danach zu urteilen, wie Alex den Blick abwandte, ein paar Papiere zurechtschob und nichts sagte, wusste er, dass er verloren hatte; und danach zu urteilen, wie Bec sich auf die Lippe biss, hatte sie gar nicht gewinnen wollen.
    Bec brachte Rose auf ihr Zimmer. »Alex macht zu viel auf einmal«, sagte sie. »Er schreibt an einem Buch und lehrt an der Universität und verbringt Zeit mit Leo, und wenn ich ihm sage, er soll nicht zu viel arbeiten, sagt er: ›Aber wir haben doch Diener.‹«
    »Ihr seht beide müde aus.«
    »Wirklich? Sind wir vom Fleisch gefallen?«
    »Nicht vom Fleisch gefallen«, sagte Rose und wurde rot. Ihr Herz schlug schneller; ein Gedanke, den sie hatte für sich behalten wollen, schoss ihr zum Mund. »Es ist nett von euch, dass ihr mich aufnehmt, nach dem, was meine Eltern getan haben.«
    Bec sah sie unsicher an. »Es ist schwerer, jemandem aus der eigenen Familie zu vergeben. Aber Alex ist nicht bitter.«
    »Das hat Dougie auch gesagt.«
    »Oh, du hast ihn gesehen. Hier ist ein Handtuch für dich.«
    »Ich wollte ihn fragen, ob er findet, es wäre in Ordnung, wenn ich mich bei euch melde, und er meinte, ja. Er lässt euch herzlich grüßen.«
    »Ich werde es Alex ausrichten.«
    »Er nennt mich immer English Rose. Ich habe ihn gefragt, warum er euch noch nie besucht hat. Er meinte, ihr hättet genug Parasiten in eurem Leben.«
    Bec schien sich für Nachrichten von Dougie nicht zu interessieren, und Rose spürte, dass sie vorgeben sollte, müde zu sein, damit ihre Gastgeberin sich entfernen konnte. Sie duschte und zog sich um und traf danach Alex und Leo auf der Veranda hinter dem Haus an. Das Sonnenlicht auf dem Gras war schmerzhaft grell, doch im Schatten war es kühl und friedlich. Alex versuchte, Leo zum Verzehr eines Joghurts zu animieren.
    »Da steht Kaffee für dich«, sagte er. Er sah sie nicht an, und Rose überlegte, ob er etwas gegen sie hatte oder sich einfach auf seinen Sohn konzentrierte.
    »Ich habe Mum und Dad nicht erzählt, dass ich zu euch fahre«, sagte sie. »Ich habe in letzter Zeit nicht viel mit ihnen gesprochen.«
    Sie hatte das Falsche gesagt. »Du solltest mit ihnen sprechen«, sagte Alex. »Du hast ja gesehen, was bei Familienfehden herauskommt.«
    Sie errötete, schluckte und sagte: »Es ist toll, dass du ein Buch schreibst. Worum geht’s?«
    »Ich will dich nicht langweilen«, sagte Alex. »Es ist ein wissenschaftliches Buch.«
    »Ich würde es gerne wissen.«
    »Na gut«, sagte Alex, und während er Leo zum Weiteressen anhielt und sein Joghurtspucken und -schmieren kontrollierte, erläuterte er das Thema. Er hatte recht gehabt; für Rose war es langweilig. Jedenfalls stieg sie nicht durch. Etwa dreißig Sekunden lang bemühte sie sich, seinen Ausführungen zu folgen. Hin und wieder blieb ein Wort hängen: »Bahnen« fiel mehrmals und »Zellen« und »Proteine« und »Metaanalyse«. Die Augen klappten ihr mit fast unwiderstehlicher Gewalt zu. Sie trank ihren Kaffee und schenkte sich noch eine Tasse ein und musste unwillkürlich gähnen.
    »Ich habe dich gewarnt«, sagte Alex.
    »Es klingt echt interessant«, sagte Rose. »Aber du solltest ein Buch über die Sachen schreiben, die du erzählst. Weißt du, wenn es abends spät ist und du diesen Ausdruck im Gesicht bekommst und du ganz erregt wirst …«
    »Erregt wovon?«
    »Wie damals, als du uns vor ein paar Jahren besucht hast. Als ich die Spülmaschine
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