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Liebe Unbekannte (German Edition)

Liebe Unbekannte (German Edition)

Titel: Liebe Unbekannte (German Edition)
Autoren: István Kemény
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arbeitete gerade für eine Werbeagentur). Und all diese Gedanken machte ich mir nicht nur für mich, sondern auch für und statt Emma. Sie musste an diese Dinge nicht denken, da sie sich gerade deshalb mich ausgesucht hatte, damit ich es auch an ihrer Stelle tat. Und so hatte sie freie Kapazitäten, sich darüber Sorgen zu machen, eine schlechte Mutter zu sein (sie war eine gute Mutter) oder den Kindern zu viele oder zu wenige Sachen angezogen zu haben.
    Das ist es, was man zusammenfassend über Emmas Schutzausrüstung sagen kann. So stiegen wir aus dem kleinen, roten Zug, der mittlerweile den Namen
Kindereisenbahn
trägt, und stiegen zu fünft auf den János-Berg. Der Waldweg von damals war voller Ausflügler. Die Serpentine gab es auch noch, wir überquerten sie sogar mehrere Male. Alles befand sich dort, wo es sein musste. Die schlechten Erinnerungen kamen ebenfalls auf, begrüßten Emma wie gute alte Bekannte. Emmas Schutzausrüstung funktionierte jedoch einwandfrei, uns stieß unterwegs nichts zu. Wir waren glücklich. Auf dem János-Berg stiegen wir auf den Aussichtsturm, zeigten den Kindern die Stadt.
    Am Ende wurde es jedoch recht spät. Wir hatten am frühen Nachmittag von zu Hause losgehen wollen, aber beim Mittagessen dann die Zeit vertrödelt. Wir kamen zu spät auf den János-Berg und blieben auch eine ganze Weile auf dem Aussichtsturm. Es dämmerte bereits, als wir vom Aussichtsturm aufbrachen, um auf dem Wanderweg hinunterzulaufen. Im Grunde hatten wir es aber so gewollt. Deshalb waren wir auch nicht mit dem Auto gekommen. Die Kinder hielten die Wanderung durch den Wald gut durch, sie hatten keine Angst.
    Ich wurde übermütig.
    Unten bei der Haltestelle Szépjuhászné angekommen, schlug ich Emma mit Zeichen vor (damit die Kinder es nicht verstanden), dort, auf der Bank, die Geschichte von Pryzk und Griega zu erzählen. Denn es sei ja eine ganz andere Situation als damals, bei dem gewissen Waldspaziergang, denn wir seien die Eltern, wir seien da, stark, schön und gesund, uns gehöre die Zukunft, und das spürten die Kinder auch, ganz zu schweigen davon, dass echte Märchen stets schön gruselig seien. Und Kinder bräuchten das Gruselige in den Geschichten, für sie sei das etwas ganz anderes als für uns. Das helfe ihnen, die Angst zu besiegen. Das wusste Emma natürlich selbst, da sie alle Erziehungsratgeber in- und auswendig kannte, und wir abends den Kindern extra die modernste Übersetzung der Grimm-Märchen vorlasen, in der alle gruseligen Einzelheiten enthalten waren, die das 19. Jahrhundert in ihrer verzärtelten Version ausgespart hatte, aber natürlich vergebens, denn das furchtbare 20. Jahrhundert lieferte dann Schrecken zur Genüge. Wir wollten, dass unsere Kinder seelisch gesund wurden, da sie stark und unbeugsam sein mussten, wir würden schließlich nicht für immer bei ihnen sein, und ja, es würden schwerere Zeiten kommen. Es würden schnellere und unbegreiflichere Zeiten kommen, und Emma und ich würden den Faden verlieren, da die Menschheit in einem unsäglichen Tempo auf die Transformation zurast, wobei sie einer Spirale entlang um ihr eigenes Gehirn kreist, immer und immer mehr auf die Mitte zu, und vielleicht leben wir tatsächlich in der letzten menschlichen Zeit. Emma schüttelte jedoch nur den Kopf und lachte.
    „Das kannst du dann mit deiner neuen Frau machen“, sagte sie entschlossen, da sie genau wusste, dass es keine neue Frau geben würde.
    Wir waren jedoch nicht immer so fröhlich und zuversichtlich.
    Der Roman, den man nicht schreiben kann, ist nicht entstanden. Mit zunehmendem Alter der Kinder sind Emmas Gedanken immer häufiger zu ihm zurückgekehrt. Sie leitet die Rubrik „Schönheit und seelisches Gleichgewicht“ eines Frauenmagazins, davon leben wir, seitdem ich meine Stelle gekündigt habe, um meine Zeitmaschine zu bauen, denn die meisten Männer fangen ab einem gewissen Alter an, eine Zeitmaschine, ihre Zeitmaschine zu bauen. Und wenn sie es aus irgendeinem Grund doch nicht tun, werden sie unglücklich und empfinden ihr Leben als sinnlos. Mir geht es auch so. Diese Geschichte ist meine Zeitmaschine. Ich habe mich sehr bemüht, sie zu beenden, nicht dass es mir so ergeht wie Vater, dem Armen, dessen Zeitmaschine unvollendet geblieben ist, dennoch habe ich die Arbeit an ihr, hier im sicheren Hafen, bis auf Weiteres unterbrochen.
    Emma weiß das alles, ja, sie war es, die mich jahrelang immer wieder ermahnt hat, endlich mit der Arbeit zu beginnen. Argumente
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