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Liebe Unbekannte (German Edition)

Liebe Unbekannte (German Edition)

Titel: Liebe Unbekannte (German Edition)
Autoren: István Kemény
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hängen hatte. Emma fragte ihn oft, weshalb er zeichne, wenn ihm seine Zeichnungen nichts bedeuteten und weshalb er sich nicht mit etwas beschäftige, was ihm wirklich wichtig sei. Sei ihm seine Zeit dafür nicht zu schade? Doch dem jungen namenlosen Psychiater war ausschließlich Emma wichtig, und mit seiner Zeit ging er genauso großzügig um wie mit seinen Zeichnungen, da er, angeblich wegen des sogenannten REM-Zyklus, mit sehr wenig Schlaf auskam. Davon sprach er stets mit einem charakteristischen, bescheidenen Lächeln, als wäre er der Leiter einer Entwicklungsgruppe, der gerade ein Spitzenmodell vorstellte: „Ja, Sie haben richtig gehört, dieser Körper kommt mit lediglich drei Stunden Schlaf pro Nacht aus.“ Auf diese und andere Weise zeigte der junge namenlose Psychiater Stärke.
    Emma hatte natürlich überhaupt nicht im Sinn, sich auf der Bühne von ihm zu trennen. Sie wäre dazu auch eine Spur zu feige gewesen, denn sie schwang zwar gerne große Reden, traute sich dann aber gar nicht so viel, das war auch etwas, was mir später an ihr gefiel. Jetzt wollte sie eigentlich nur Kornél ein bisschen etwas vorspielen, aber wirklich nur ein bisschen. Um ihm zu zeigen, dass auch sie nicht unglücklich war. Gleichzeitig aber auch, um ihm zu zeigen, dass auch sie nicht glücklich war. Der Widerstand des jungen namenlosen Psychiaters erboste sie jedoch. Sie provozierte ihn.
    „Das geht nicht. Das ist ein Scheidungsgrund!“
    „Es gibt nichts zu scheiden, Herzchen.“
    „Ákos, Schatz“, quengelte Emma. „Sei nicht gemein! Ist es dir etwa unmöglich, Ja zu mir zu sagen?“
    Sie traute sich, ihn Schatz zu nennen, da Kornél sehr wohl wusste, dass sie nicht in den jungen namenlosen Psychiater verliebt war. Jetzt sollte er jedoch ruhig denken, dass es vielleicht doch ein bisschen der Fall war.
    „Nicht aus Spaß!“, sagte der junge namenlose Psychiater verärgert. „Sei doch keine Gans, Emma.“
    Emma sah Kornél und Emőke Széles verwundert an: Wieso solle sie keine Gans sein, wenn sie doch eine Gans war, wie könne man so etwas überhaupt von einer Gans verlangen.
    „Wenn das für dich nur Spaß ist“, sagte sie schmollend und zuckte die Schulter, „dann war’s das von meiner Seite.“
    Selbstgefällig schritt sie im Slalom durchs Publikum in Richtung Ausgang. Das zweite Paar küsste sich gerade auf der Bühne. Der junge namenlose Psychiater fällte sofort eine Entscheidung.
    „Tabaki!“, rief er. „Warte, wir kommen!“
    Er rannte Emma hinterher. Jeder im Publikum kannte ihn, und mehrere forderten ihn auf,
Seelenklempner
, den alten Song des
Gut Durchbluteten Unterbauchs
, zu singen.
    „Seelenklempner!“, riefen sie. „Seelenklempner!“
    „Ich habe den Text vergessen“, erwiderte der junge namenlose Psychiater, womit er für Heiterkeit sorgte, da sich die meisten noch an den Text erinnerten, der im Grunde mit dem Titel identisch war. Inzwischen hatte er Emma in der Tür des Saals eingeholt. Er ergriff ihre Hand.
    „Komm, lass uns gehen.“
    „Zu spät. Das hast du vermasselt, Schatz.“
    Sie zog die Hand weg.
    „Und wohin gehst du?“
    „Ich weiß nicht! Weg von hier!“
    Emma verließ den Saal. Der junge namenlose Psychiater bedeutete Tabaki, dass sie doch nicht kämen und lief Emma hinterher.
    „Seelenklempner“, rief eine Stimme.
    „Na gut, bevor sich alle aus dem Staub machen“, sagte Tabaki, „spielen wir euch etwas, wenn wir schon mal hier sind. Auf der Bühne ist die Band
Nimmermehr
, aber davon sollte sich niemand täuschen lassen.“
    Und sie spielten die alten Songs des
Gut Durchbluteten Unterbauchs
.
    Der andere Saal war die Cafeteria. Hier hielt der junge namenlose Psychiater Emma an.
    „Schon gut, Herzchen, du hast gewonnen. Dann feiern wir jetzt.“
    „Aber nicht zusammen“, sagte Emma. „Mit dir feiere ich niemals.“
    „Okay, dann kennen wir uns nicht.“
    Und von da an spielten sie vor, nicht zusammen auf den Ball gekommen zu sein. Das stand ihnen auch gut, denn sie waren ein schönes Paar, was keinem von beiden egal war. Dass sie sich in der Mitte der Cafeteria für den Rest des Abends trennten, war der Sieg des jungen namenlosen Psychiaters, da Emma doch nicht sofort gegangen war, aber in Wirklichkeit war es Emmas Sieg, denn es war stets sie, die über den jungen namenlosen Psychiater siegte.
    Wenn sie später geheiratet hätten, hätte sich das geändert. Kinder wären geboren worden, Emmas Schönheit hätte zu welken begonnen, der junge namenlose Psychiater
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