Liebe stand nicht auf dem Plan

alles so schnell gegangen, und sie kriegt seine Stimme nicht aus dem Kopf. Was hast du? Nooraa!? Er ist aufgesprungen und hat Anstalten gemacht, ihr auf dem Rücken herumzuklopfen. Da hat sie Panik gekriegt und geschrien, »geh weg!« Das hätte sie nicht überlebt. Dann hat er wie wild herumgestikuliert und dauernd auf sie eingeredet, dass sie keine Angst zu haben braucht, bis er endlich den Zusammenhang begriffen hat zwischen ihren geprellten Rippen vom Unfall im Getränkeschuppen und der Tatsache, dass er sie so grob auf den Stuhl zurückgezerrt hat. Und erst dann hat er sie in Ruhe Luft holen lassen, was nach ner Weile wieder geklappt hat. Als sie wieder auf die Beine gekommen ist, hat er sofort die Miete von 250 Euro abgenickt und sie bis runter vor die Tür begleitet. Ein Reflex auf sein schlechtes Gewissen. Bloß, dass das keinerlei Bedeutung mehr hat. Der erste Teil seiner Vorhaltungen, Leifs Monolog, das hat gesessen. Nora fühlt sich wie zerschlagen. Zweimal legt sie eine Pause ein auf dem Weg zur S-Bahn Landungsbrücken, starrt ins Wasser und denkt, wie aussichtslos plötzlich alles ist. Den Underage-Club muss sie knicken. Die Tage im Club sind gezählt, nach allem, was er ihr an den Kopf geworfen hat. Sie blinzelt ihre Tränen weg. Gestern war sie mit Keath so fest verschlungen, dass sie nicht mehr hätte sagen können, wo sie aufhört und er anfängt, was sein Arm ist und was ihrer. Sie haben sich aneinandergedrückt und den Regen auf sich prasseln lassen. Und dann kriegt sie eine Armlehne gegen die Rippen und kippt aus den Latschen. Ihr Rücken tut wieder so wahnsinnig weh, dass sie kotzen könnte. Nora stolpert weiter und zieht das Handy aus der Tasche.

    Ein Meteoriteneinschlag versetzt Keath dahin, wo er sein will, in selige Gedankenlosigkeit. Die Musik knallt. Blues Punk stampft durch seine Gehörgänge, und er geht ab, springt, schüttelt sich, nichts zählt mehr. Ego, ich, die anderen existieren nicht mehr. Die Grenzen zum Universum sind aufgehoben, und der Geist des Urknalls breitet sich aus. Er ist ein Teil davon, und durch alle Teile rauscht derselbe Knall. Alle haben teil, und blanke Euphorie liegt auf dem dampfenden Sound. Keath ist mitten drin im Männerritual und slamt im Pulk. Lost in music. Ohne festen Grund unter den Füßen, denn jeder springt jeden an, und der Aufprall wird zum einzigen Halt. Dazwischen ist Fallen, Schwanken, Stürzen, Nachgeben. Erst nach dem letzten Einschlag kommt Keath wieder zu sich.
    Neben ihm haut ihm ein durchgeschwitzter Brecher, fast seine Größe, aber mindestens einen halben Zentner mehr Masse um die Wirbelsäule, ins Kreuz und schreit begeistert: »Du hast’s echt drauf, Nigger.«
    »Yo, Dicker! Bin ein echt zorniger …«, Keath lässt es klingen wie zor Nigger, »… Beschleu-Nigger.«
    Das dröhnende Gelächter des Zweieinhalbzentnerkerls geht im anschwellenden Bass-Solo unter.
    Lars bibbert draußen vor der Tür, als Keath kommt. »Mann, bin fast erfroren hier draußen. Komm, mach die Kasse endlich dicht und trink ’n Bier mit mir, verdammt noch mal!« Entrüstung, und schwupp, weg ist er.
    »Mach ich. Willst du meine Jacke?« Keaths Angebot geht ins Leere, Lars ist schon wieder da, wo’s heiß ist.
    Keith räumt den einsamen Posten, schließt die Einlass-Kasse im Büro ein und spürt sein Blut wieder rauschen. Ein Anruf in Abwesenheit! Mist, gerade als er tanzen war. Und was steht in der SMS von Nora?

    Keath, ich muss dich sehen. Morgen vorm Putzen? Vermiss dich
    JA!
    Bloß wo? Und wann? Urplötzlich ist Hamburg in Keaths Vorstellung nur noch stecknadelkopfgroß und umringt von lauernden Beobachtern. Im Club? Aber was ist, wenn Mehmet oder Leif auftauchen? An der Elbe? Super Idee, da könnten dann auch noch Dali und Maika dazustoßen …
    Wann, wo? Du fehlst mir
    Mit den Füßen auf Leifs Schreibtisch wartet Keath auf die Antwort.
    Um 5? Wo = schwer. GETRÄNKESCHUPPEN???
    Das ist zu früh. Um fünf ist seine Streetdance-Gruppe erst zu Ende.
    5:10. DÜSE NACH KURS UND VOR SCHRUBBERDANCE DIREKT IN DEN SCHUPPEN! GHOST RIDER
    Bis zum finalen, heiseren Schrei des Frontsängers tanzt er mit Maika. Bevor sie auf dumme Gedanken kommen kann, deren erste Ansätze er bereits in ihren Augen blitzen sieht, verzieht sich Keath und taucht im dichten Nebel ab, den die dreihundert durchgeschwitzten T-Shirts nach der Show verbreiten. Sämtliche Bierflaschen sind beschlagen.

    Der Akku ist leer, aber Nora ist viel zu erschöpft, um das Ladekabel zu holen. Sie legt