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Liebe in groben Zügen

Liebe in groben Zügen

Titel: Liebe in groben Zügen
Autoren: B Kirchhoff
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Er setzte die Tasse ab, Vila stand auf – Das ist keiner, der in Zeitschriften blättert, der kauft sich eine Zahnbürste, Stifte, Papier –, sie nahm die Liste und ging damit zur Heizungstherme, wo es am meisten zu beachten gab. Es wird ein Junge, rief sie, was genauso eine Vermutung war wie die Vermutungen über den Mieter. Vila und Renz also bei Spekulationen, Renz auch bei eigenen. Er erwartete Besuch von einer Producerin, die er seit Jahren flüchtig kannte, erst als Redakteurin im Bayerischen Fernsehen, da war sie noch verheiratet, dann als Producerin bei Hermes Film, wo er schon das eine und andere untergebracht hatte. Inzwischen war sie selbstständig und wollte ihn als Co-Autor für eine Serie. Oder wollte überhaupt Kontakt mit ihm, seine Nähe. Renz machte sich Gedanken um eine Frau: zu anziehend, um seit Jahren allein zu sein; Vila machte sich Gedanken um einen Mann, viel zu sehr in seiner Welt, um in einem Kaufhaus in Zeitschriften zu blättern.
    Was er auch nicht tat – der künftige Mieter war auf der Suche nach einem Koffer, um die Schulter eine Notebooktasche und in den Händen je eine große gefüllte Plastiktasche mit Kleidung und Schuhen für die Zeit in Italien, zusammengestellt aus seiner eingelagerten Habe. Er sah sich jeden Koffer an, ob die Dinge ihren Platz hätten, und den ersten geeigneten kaufte er und verstaute Kleidung und Schuhe darin. Ein Allerweltskoffer mit Rollen, den er über die Schweizer Straße zog, zum U-Bahn-Zugang vor seinem langjährigen Wohnhaus, unten eine Parfümerie, die ihre Gerüche nach oben schickte, bis zu den zweieinhalb Zimmern, die er am Morgen endgültig geräumt hatte. Bühl nahm die U-Bahn zum Bahnhof und bestieg einen Zug nach Freiburg, Breisgau, um das Grab seiner Eltern zu besuchen, beide im Frühjahr durch einen Autounfall ums Leben gekommen; erst am nächsten Tag die Weiterreise über Mailand nach Verona und von dort an den großen See.
    Eine schnelle Fahrt Richtung Süden, Karlsruhe, Baden-Baden, Offenburg, die Landschaft zusehends weicher, fließende Höhenzüge, Waldpolster, Wiesen – Abbild der Erinnerungen an seine Jugendsommer, das Verfließen der Tage, der Wochen in einem Schwarzwaldtal, er und ein Freund, der ihn oft im Sommer besucht hatte, einen anderen Freund gab es nicht, außerhalb der Ferien teilten sie ein Internatszimmer – keine Fahrt in diese Gegend ohne das Bild eines Jungen mit runder Brille und glatt zurückgekämmtem Haar, auf jedem Hemd seine Initialen, CKS, Cornelius Kilian-Siedenburg, ein Name wie ein furchtbares Versprechen, immer der Erste zu sein, niemals der Zweite. In der Mittelstufe organisierte er die Feste der Oberstufe und verdiente daran, über Nacht wurde er Schulsprecher; seine geheimen Mängel: Latein und Deutsch. Der Zug bremste ab, der neue Koffer kam ins Rollen – Freiburg, das Münster, ewig mit Gerüst, ein behindertes Bauwerk. Bühl nahm sich ein Taxi und ließ sich ins Dreisamtal fahren, bis vor die Kirche von Zartenbach, Ort seiner Kindheit, auf dem Friedhof Rauchverbot. Er zog den Koffer bis zum Elterngrab, um auf dem Stein die Namen zu sehen, ihre Vereintheit, Rita Bühl, geb. Steiert, Rupert Bühl, Kaufmann , eher separiert als vereint, wenig bewegend, und er verließ den Friedhof wieder, die Kofferrädchen knirschend im Kies. Bühl ging zum einstigen Vorhanggeschäft des Vaters, heute Bistro, und auch dort wenig Bewegendes, aber ein innerer Friedensschluss: die nachgeholte Verbeugung am Grab. Rupert Bühl hatte immerhin die Thai-Seide in die Gegend geholt, ein Kaufmannsfuchs, der häufig nach Bangkok geflogen war. Und Rita Bühl, vom Leben mit Vorhangstoffen nicht ausgefüllt, war eine Größe im regionalen Kulturleben gewesen, dazu in den Ferien nett zu seinem Freund, der auch im Laden ein und aus ging, sogar geschäftlichen Rat erteilte; der eine durchschaute schon Steuerdinge, ganz Kilian-Siedenburg, und er durchschaute die lateinische Grammatik. Sie hatten sich gegenseitig bewundert, er das Geschmeidige an dem Freund, Cornelius das Strikte an ihm, eine Art Liebe, die Art, die nach außen verblasst, wenn Lebenswege auseinandergehen, aber unter dem Blassen noch glüht wie das Innere der Erde unter der Kruste. Bühl rief sich ein Taxi, eines vom Taxidienst Wunderle, den gab es noch immer in Zartenbach, als sei dort alles totzukriegen, nur nicht die Namen, ihr alter Klang. Er ließ sich nach Freiburg zurückfahren und nahm im Intercity-Hotel am Bahnhof ein Einzelzimmer, letzte Enge vor der Weite des
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