Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Liebe in groben Zügen

Liebe in groben Zügen

Titel: Liebe in groben Zügen
Autoren: B Kirchhoff
Vom Netzwerk:
die Kirche, den alten Uhrturm, die Zypressen im Straßenlicht; an der Wand längs des Bettes eine Tischbein-Zeichnung, einsames Land, hingeworfen mit ein paar Strichen. Die übrigen Bilder im Haus aus der Gegend, immer wieder der See, seine Weite, sein Glanz; am Morgen hängt manchmal eins schief, wenn nachts unmerklich die Erde gebebt hat, und Vila betrachtet es als Ausdruck von Leben, an den man nicht rühren darf, wie an den wuchernden Jasmin, der schon die Laube erdrückt mit seinen Trieben. Renz ruft ihren Namen, sie hat nicht geantwortet auf sein Gutenacht, sie ist noch unten im alten Kinderzimmer, wo sie ihre Mails liest, immer die letzte Tagestat mit Lesebrille, in der Hoffnung, dass sich Katrin gemeldet hätte. Und rascher als sonst das Löschen aller Lichter, der Widerschein auf den Olivenblättchen vor seinem Balkon verschwindet. Dann Vilas Schritt die Treppe hinauf, auch rascher als sonst, und ihre sonst so ruhige, moderierende Stimme seltsam hastig, Renz? Sie tritt ins Zimmer, barfuß, nackt: die Gestalt, die ihm am vertrautesten ist, seine Frau. Was denn, fragt er, als sie sich schon herunterbeugt, die Arme schützend über den Brüsten. Eine Nachricht von Katrin – die Worte fast geflüstert, während sie sich zu ihm legt –, unsere Tochter ist schwanger, hörst du?
    Und Renz hörte es mit jeder Faser, es drang in ihn ein, als Schnitt durch die Zeit: auf der einen Seite die Jahre davor, sein Leben als Vater, auf der anderen alles, was jetzt noch käme, wie damals, als Vila Wir bekommen ein Kind! rief. Und sie hatte auch etwas von damals, als sie seinen Kopf an sich zog, die Hände in sein Haar grub, als sei es noch dicht, von der Frau, die in allem jünger war als er selbst, nicht so sehr an Jahren, an Wünschen – vor ihm ihr blasser Bauch, darin die Narbe eines Kaiserschnitts. Wie schön, sagte er nur, den Mund schon an ihrem mythischen Spalt.
    JETZT noch ein Kind, ist dir klar, was das heißt? Renz’ erste Worte, als Vila vor Jahren, acht oder neun, und da musste sie schon nachdenken, beim Frühstück fast verlegen nach seiner Hand griff, nachdem sie gesagt hatte, es sei ein Wunder passiert. Und ihr war klar, was das hieß: noch einmal solche Erschöpfung, auch ein so erschöpfendes Glück, dass alles andere keinen Platz mehr hätte, einschließlich der Mitternachtstipps, die in Planung waren. Stattdessen das Beruhigen nachts, das Auf-und-ab-Gehen, der geteilte Halbschlaf, ja die geteilte Milch aus der Flasche und das geschwächte Verlangen nach Wein, nach Fisch, nach allem Gewohnten; nur noch das Kind und sein Geruch, sein Klammern, der kleine warme Leib wie ein Gewächs an ihrer Brust: auch für sie zu viel. Sie war dreiundvierzig und wies das Geschenk zurück, ein eisiger Märztag, Bagdad wurde gerade mit Bomben belegt, Beginn der Rache für nine/eleven, eine doppelte Kerbe in den Jahren, den Sommern, die schon verschwammen, und im Herbst hatte sie ihre erste Sendung – der Grad des Glücks oder Unglücks bestimmt den Lauf der Erinnerungen unbestechlicher als die Zeit: Das war die Nacht, in der ich gefeiert wurde, das der Tag, an dem ich ein Leben geopfert habe. Mit Erinnerungen ist nicht zu handeln, man kann ihnen nur den Rücken kehren, vor dem Umriss des eigenen Lebens die Augen zumachen, sich ganz dem Jetzt hingeben.
    Vila – im Dauerpräsens ihres Sommerlebens am See, bis zu der Mail, dass sie und Renz Großeltern würden – saß am anderen Morgen allein auf der Terrasse, ein milder später Septembertag; sie schrieb an einer Liste der zu beachtenden Dinge in Haus und Garten, einer schriftlichen Hilfe für den künftigen Mieter, Für Kristian Bühl , wie über den einzelnen Punkten in kursiver Schrift stand. Er hatte angerufen, als sie sich Tee machte, gefragt, ob er etwas mitbringen sollte aus Frankfurt, er sei gerade im Woolworth auf der Schweizer Straße, Druckerpapier oder eine bestimmte Zahnpasta?, und sie nur: Nein, sehr lieb. Keine besonders gelungene Antwort, aber das ging ihr erst auf, als sie das Telefon weglegte. Sie schrieb weiter an der Liste, bis Renz von oben kam, sich Tee einschenkte, ihn mit Honig süßte, nicht mit Zucker, so hielten sie es. Wer hat angerufen? Seine übliche Frage, und sie sagte es ihm, er rührte den Honig um. Was macht der im Woolworth, oder ist er unten bei den Lebensmitteln? Aber was muss er noch einkaufen, wenn er morgen hier ist. Also hängt er nur herum, blättert in Zeitschriften, ja? Renz trank einen Schluck. Weiß Katrin schon, was es wird?
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher