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Liebe in groben Zügen

Liebe in groben Zügen

Titel: Liebe in groben Zügen
Autoren: B Kirchhoff
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Klara. Kniend im Dunkel der Hütte, lenkt sie ihn auf den Tag, an dem er, auf ihren Wunsch, ihr Verlangen, Karren und Esel besorgt hat, nur für sie beide: damit sie hinfahren könnten, wo niemand sie stört. Kein Wort mehr von früher, sagt Franz, nichts von uns! Er fährt ihr über den Mund; es reicht, daß sie die Dunkelheit mit ihm teilt. Sie beide sind ein Kästlein, das besser zubleibt.
    Das Gold des Schweigens, ein alter Männerglauben (in einer Mail nach alter Rechtschreibung); ganz anders dagegen Vila, wenn sie zu Renz sagt: Stell dir vor, wir beide wüssten plötzlich alles vom anderen, wir könnten uns nur auf der Stelle trennen! Einer ihrer Lieblingssätze nach einem Essen für Freunde beim Aufräumen der Küche und dem Glas zu viel; sie mit ihren zweiundfünfzig zieht die Wahrheitskarte, er, der um einiges Ältere, kommt ihr mit Gedankenspielen: Wenn wir alles voneinander wüssten, und nichts würde einen treffen, wie langweilig wäre der andere dann! Renz spricht sich für den Schrecken ohne Ende aus, kann sich aber im Schrecken einrichten. Sie vertritt das Radikale: alles auf den Tisch und aus, hängt nur am Tisch selbst. Beide kennen sich seit Ewigkeiten, ihre eigenen Worte. Vila wurde schwanger, und man blieb zusammen, gleich um Geld bemüht. Er, anfangs Filmkritiker, geht zu Drehbüchern für Vorabendserien über, sie, irgendwie beim Fernsehen, PR-Arbeit, schafft den Sprung in ein Kulturmagazin, Mitternachtstipps. Da ist Katrin, die Tochter, schon in der Schule, ein Haus am größten See Italiens (dem Kleinen Meer) zur Hälfte bezahlt, und sie wohnen in der häuslichsten Ecke Frankfurts, ruhige Straßen, nach Malern benannt, schöne Altbauten, hohe Bäume, das nahe Mainufer und seine Museen; nah auch die lebhafte Schweizer Straße, ihre Lokale, ihre Läden. Dazu ein Kreis von Freunden wie komponiert, besonnene Paare mit ein, zwei Kindern, Ärzte, Therapeutinnen, Medienleute, Gründer kleiner innovativer Firmen – gemeinsame Abende, gemeinsame Urlaube, ein Leben, für das es kein Ende zu geben scheint.
    Alles, was uns zerstören kann, existiert bereits, sagt Renz gern, wenn er beim Aufräumen der Küche weitertrinkt. Der Mensch, den wir mehr lieben werden, als er uns liebt, die Wahrheit, die einen fertigmacht, das Messer, in das wir rennen – Sprüche, die erst ins Gewicht fallen, nachdem Renz die Geschichte von Franz und Klara gehört hat. Der Verfasser: ein beurlaubter Lehrer, Latein und Ethik, von Vila in ihr Leben geholt, als sie und Renz längst ein erfahrenes Paar waren, aber noch nicht das Paar, das zu viel voneinander weiß.
    *

II
    VILA und Renz, das Paar, das noch nicht zu viel voneinander weiß, die beiden nachts auf ihrem Boot, einer alten Sea Ray mit Kabine unter dem Bug und Polstern im offenen Rückteil. Eine Fahrt bei leichtem Regen, die letzte in dem Jahr, Ende ihres Sommers am Kleinen Meer zwischen Trentiner Alpen und Veroneser Land mit dem Haus an der Ostseite über der Ortschaft Torri; schräg gegenüber, an der Bucht von Salò, haben sie zu Abend gegessen, jetzt sind sie auf dem Heimweg. Noch einmal ihr weiter See, den sie selten beim Namen nennen, seine Uferlichter im Süden kaum zu erkennen, nur ein Flimmern. Und auch noch einmal beide allein auf ihrem Boot, ja allein auf dem Wasser, kein anderes Blinken weit und breit in der feuchtkühlen Nacht Ende September, sie schon mit Pullover, er noch im Hemd. Und dann bricht jäher Wind den See auf, aus herangedrückter Front ein stürzender Regen, Sterne und Lichter, eben noch funkelnd, verschwinden. Vila presst die Fäuste in den Sitz, während Renz mit aller Motorkraft, einem Acht-Zylinder-Mercury, den Kurs hält, mal mit den Böen, mal dagegen. Wellen heben das Boot und lassen es fallen, hart über den Untiefen an der einstigen Gletscherkante, die vor der Insel verläuft, der See dort an manchen Stellen nur knietief. Renz durchfährt die schmale Passage, irgendwann hat er hier nicht aufgepasst, sich eine Schraube ruiniert, ein Tag im Juli, aber welches Jahr? Seit Katrin aus dem Haus ist, kaum noch auftaucht, verschwimmt alles: wie oft schon diese Überquerung nach Abenden auf der anderen Seite, in Gargnano, in Gardone, in Salò. In warmen Nächten, wenn der See ganz ruhig ist, halten sie in der Mitte – die weite Fläche, ihr nahes All, sommersüchtig lassen sie sich treiben. Es gibt kein festgelegtes Alter für solche Stunden. Und der Schlaf in den warmen Nächten, traumzerfurcht; bei Renz oft das Bild des entleerten Sees, eines
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