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Liebe in groben Zügen

Liebe in groben Zügen

Titel: Liebe in groben Zügen
Autoren: B Kirchhoff
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nimmt das in Kauf, wie er denkt. Jedes heimliche Paar: Liebesverrückte, die sich gefunden haben. Nur ist das Verrückte nicht verrückt, die Leute sind sich im Internet oder nach Feierabend oder bei Dreharbeiten begegnet und in keiner Psychiatrie. Das Verrückte ist nur ein Bild, während Paare wie sie und Renz tatsächlich krank sind, sich ein Leben lang wehtun. Sie schaut immer noch auf die Zeilen vor ihr, eine leider zu kleine Schrift, sie braucht eine neue Lesebrille, gerade für solche Abende. Die letzten Tage am See, nie ohne ein Buch gegen den lähmenden Ausklang, das Zusammenrechen von frühem Laub, das Stilllegen des Pools, das Ausbreiten von Planen über die Gartenmöbel, der Abbau des Dachzelts, die Übergabe des Boots an den Werftbesitzer, das Wischen der Böden im Haus; unter den Fliesen nisten die Ameisen, zwei, drei Grissinikrümel und schon sind sie da. Wir können noch einmal auf den See, sagt Renz, als hätte er seine Frage vergessen. Wir können nach Salò fahren, schlägt er ihr vor, sein üblicher Abschied in Etappen. Einmal noch dies, einmal noch das, solange das Wetter mitspielt, die Gnadentage.
    Ja, warum nicht? Ein Einlenken, aber auch eine Lust: am ewigen jährlichen Seeabschied. Sie trinkt das eine Glas aus und geht auf ihr Zimmer, um noch im Bett zu lesen. Auf dem Nachttisch eine Lampe mit alter Sechzigerbirne, stromfressendes Licht, das ihr guttut; sie weiß, wo es in Frankfurt noch solche Birnen gibt, und will sich einen Vorrat anlegen, was zum Glück beiträgt, soll man horten. Und sie weiß auch, was sie dort in der ersten Woche tun wird, einer Initiative beitreten, Freunde des Museumsparks. Der Park soll zur Hälfte abgeholzt werden, ein umstrittener Plan, nur wurden jetzt schon erste Bäume markiert, Elfi hat es erzählt, hundert Jahre alte Bäume, damit das Haus für Weltkulturen, wo Katrin nach dem Abi gejobbt hat, einen Anbau bekommt, gegen den wird sie kämpfen – unter einem der Bäume war der Dreh für die Sendung mit dem Prediger: der muss nicht auch noch verschwinden. Zwischen Bologna und Modena, sie wieder hinten im Wagen, hat sie alles gelesen, was noch auf dem Malblatt stand. In warmen Nächten, wenn der See ganz ruhig ist, halten sie in der Mitte – die weite Fläche, ihr nahes All. Bei diesem Bild ein seltenes anderes Bild: Renz, mein Mann. Er kommt die Treppe herauf, seine langsamen, suchenden Schritte, dann ein Klopfen an ihrer Tür. Also, wir sagen der Polizei, dass wir im Sommer einen Einbruch hatten, dabei sei die Waffe weggekommen, sonst nur etwas Bargeld, und ich hätte es nicht gemeldet, wegen der Waffe. Gute Nacht! Sein Zuruf nicht ganz so den Abend beschließend wie sonst, die Stimme noch angeschlagen, aber auch zurückgenommen, fast betreten, und sie wünscht ihm Gute Besserung, klar und deutlich: Gute Besserung, Renz!, um ihm kein Danke oder noch mehr hinterherzurufen, mein lieber lieber Mann, oder gar in sein Zimmer zu laufen, eine Hand auf seine Wange zu legen; ein Danke dann nur von ihm, halblaut aus dem Bad, und sie greift nach ihrem Telefon und zieht aus der Jeanstasche den Zeitungsfetzen, Kleintiermarkt. Jeden Abend hört sie im Bett noch die Mailbox ab, sie kann nicht anders, drei neue Nachrichten heute, einmal Heide, das erste Essen in Frankfurt, Pimientos à la Jörg! Und zweimal ihr Büro, das nur an einem größeren Büro mit dranhängt, die Kandidatin, die keinen Sex braucht oder nichts dergleichen will, hat abgesagt, und eine andere bittet um Rückruf. Sie aber wählt die Nummer auf der Anzeige – ein Anschluss, der nicht mehr existiert, das teilt ihr eine Stimme mit, Kein Anschluss unter dieser Nummer, die einer Frau, der sie sich auf der Stelle anvertrauen würde: Man kann es nicht schonender sagen, nicht besonnener, im Klang enthalten auch der Rat, besser keine weiteren Nachforschungen anzustellen, nicht nach dem Rentnerpaar und nicht nach dem Hund. Und auch nicht nach Bühl.
    Sie schlägt den Roman auf, weit hinten bei einem eingelegten Stift, Eine Eintagsfliege – hier hat sie auf der Terrasse ein Ausrufezeichen an den Rand gesetzt – wird um neun Uhr morgens geboren und stirbt um fünf Uhr abends. Wie könnte sie verstehen, was Nacht heißt! Gebt ihr fünf Stunden länger zu leben, und sie sieht und versteht, was Nacht bedeutet. Sie hatte diese fünf Stunden. Warum können Erinnerungen nicht wie Kristalle sein, frei von Schmerz, nur das Funkeln der Bilder. Wie er am Malecón ihr Gesicht in die Hände nimmt, um sie herum die grauen
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