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Liebe in groben Zügen

Liebe in groben Zügen

Titel: Liebe in groben Zügen
Autoren: B Kirchhoff
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herlaufen, einer Frau mit nassem strähnigem Haar, Trinkerin ohne Flasche.
    Im Schrank liegt ein Föhn, sagte Renz, als sie ins Zimmer kam, noch tropfend. Es ging ihm etwas besser, er hatte Appetit auf Suppe, und sie holte aus dem Restaurant Tagliolini in brodo, zwei Portionen, dazu Brot und Mineralwasser und für sich ein Glas mit umbrischem Weißwein, ihr erster Wein seit der Trattorianacht, ein Essen im Bett. Und wie war dein Tag? Renz löffelte die Suppe, und sie erzählte vom Lesen und Italienischlernen in einer Caffè-Bar, von den kleinen alten Kirchen und sogar einem Museumsbesuch – nie war ihr lügen so natürlich oder richtig erschienen, als Teil einer verborgenen Wahrheit. Und dazwischen Spaziergänge im Regen, sagte sie noch, das passende Schlusswort; ihr Haar hing weiter in Strähnen, der Föhn im Schrank funktionierte nicht, aber das Internet gegen Gebühr, und nach den Abendglocken von San Francesco das verabredete Skypen mit Katrin, aber nur bei ihr die kleine spionagehafte Kamera in Betrieb.
    Sie und Renz also unsichtbar in dem zerwühlten Bett, vor sich das Notebook und auf dem Schirm Katrin im Frankfurter Wohnzimmer. Sie kniete in Sportsachen auf der alten Couch mit dem Sternchenmuster, auf der sie schon als Kind gekniet hatte, über ihrem Kopf der untere Teil eines gerahmten Pink-Floyd-Plakats, das Renz noch aus Vorzeiten, seinen vilalosen Jahren, mitgebracht hatte, der Rahmen ihr Geschenk zu seinem Fünfzigsten, als sie noch keine vierzig war: eine Frau, die sich für unsterblich gehalten hatte, wenn sie gut umarmt wurde. Renz drängte Katrin, von dem Krankenbesuch zu erzählen. Wie geht es dem armen Mann, ist er ansprechbar?
    Mehr als das. Er bat mich, in Frankfurt einen Bauplatz anzuschauen, er will dort eine Wohnung kaufen, Lindenstraße neunundzwanzig, was das für eine Adresse sei.
    Gutes Westend, sagte Renz. Und können wir etwas für ihn tun, hat er Fernsehen und so weiter? Vielleicht bestellst du ihm einen Film, Tom Horn. Steve McQueen in seiner letzten Rolle, ich glaube, es war die letzte. Er liebt diesen Film.
    Hör mal, rief Vila dazwischen, hat er noch eine Aussage gemacht? Und was ist ihm überhaupt passiert?
    Was ihm passiert ist? Katrin sortierte irgendwelche Blätter neben ihrem Gerät, nie machte sie eine Sache allein, immer zwei, drei zugleich. Das Geschoss hat ihm die rechte Niere durchschlagen, die Leber gestreift und eine untere Rippe als Dorn durch den Dickdarm getrieben. Laut Polizei waren alle Patronen in dem Revolver bis auf eine verrottet. Und ich habe ihn gefragt: Wer hat denn geschossen, Ihr alter Freund, unser Hausmieter? Und er sagte, darüber denke er noch nach, und dann erzählte er etwas von einem künstlichen Darmausgang für ein halbes Jahr, geruchsneutral durch ein Ventilsystem. Und von dem Ventilsystem kam er auf ein Kruzifix an seiner Zimmerwand. Das Werk eines Gegenwartskünstlers, sagte er, ungeeignet für Gebete. Und er fing sogar von seinem Auto an, einem Audi mit Speziallack, Night Edition, den möchte er loswerden, der ist ihm jetzt zu finster. Ich will den in Weiß, sagte er, irgendwie verwirrt durch die Schmerzmittel, das war mein Eindruck. Und als ich schon gehen wollte, hat er sich nach eurem Sommerleben am See erkundigt. Er drängte mich geradezu, davon zu erzählen, er will sich wohl auch etwas kaufen in der Gegend, und ich sagte, meine Mutter liest oder zupft welke Blättchen aus einer Bougainvillea, mein Vater schneidet hinter ihrem Rücken den Jasmin. Und abends sitzen sie auf der Terrasse und trinken Wein, und jeder träumt vor sich hin – das stimmt doch? Meine Mutter, die träumt von einer Alters-WG, sagte ich. Dass es dort zugehen könnte wie früher. Und mein alter Vater träumt davon, endlich einmal ein ernsthaftes Drehbuch zu schreiben. Er kämpft schon seit Jahren um etwas Seriöses, das stimmt doch? Und eines Tages könnte er darüber zusammenbrechen, ein Infarkt, jede Hilfe zu spät. Also bleibt meine Mutter mit dem Haus am See übrig, oder was denkst du? Ich denke, du bleibst übrig, vom Jasmin umzingelt. Du sitzt in deiner Laube, die schon keine mehr ist, und wunderst dich nur, dass du den See nicht mehr siehst. Aber zum Ausgleich gibt es im Juni den Duft Zehntausender Blüten, so betäubend verwirrend, dass du anfängst, mit deinem Mann zu reden, obwohl er längst in der Erde des Frankfurter Südfriedhofs liegt. War das jetzt zu viel?
    Kati, hör zu, sagte Vila, dir geht es im Moment nicht gut, das mit Havanna ist noch kein Jahr
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