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Liebe in groben Zügen

Liebe in groben Zügen

Titel: Liebe in groben Zügen
Autoren: B Kirchhoff
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gegen die Wand, so steht es in der Regieanweisung: Sie schlägt gegen die Wand und schreit, oder willst du gegen die Wand schlagen? Besser die Frau, und der Mann verkriecht sich ins Bett, das hast du ja schon geschafft. Ein Mann wird krank, aber bekommt nur die Krankheit, die sich sehen lassen kann. Grippe, Bandscheibe, Magen-Darm. Eine Frau wird verrückt. Oder bekommt ihren Krebs – vielleicht hast du geliebt, weil es begrenzt war, das macht bloß traurig, nicht verrückt. In zwei Tagen bist du gesund. Ich nicht. Niemals. Aber ich bereue nichts, was immer auch war. Weil ich es ertrage, wie es jetzt ist. Nur das rechtfertigt unsere privaten Geschichten, Renz: ob man ihr Ende ertragen kann. Damit verdient man sich alles Gute davor. Als ich dich noch nicht kannte, mehr noch Mädchen war als eine Frau, da dachte ich, man könne intelligent sein und dabei unschuldig. Kann man wohl auch, wenn man jung ist. Aber das ist vorbei, noch etwas, das ich ertrage. Ich weiß, wie ich bin. Und du? Ein leises, einlenkendes Fragen, und wie als Antwort die späten Glocken der Basilika, Zeichen, dass die Pforten bald schlossen; unten auf dem Pflaster auch schon ein Sandalengeschlurfe der Pilger aus aller Welt. Renz suchte ihre Hand. Ich hätte nur gern etwas Nachtisch, irgendein Kompott.
    Das kann ich holen, ja? Vila sah ihn an, und er bat sie zu bleiben. Also nicht – sie nahm ihren Pyjama und lief wieder ins Bad und zog sich für die Nacht an. Soll ich dir die Wahrheit erzählen? Ein Ruf ins Zimmer, wie von dem Mädchen, das sie einmal war. Nein, sagte Renz, als sie sich zu ihm legte. Es ist wirklich dein Leben. Und wir fahren morgen früh.
    Du kannst morgen nicht fahren! Sie drehte sich zur Wand mit dem Giotto-Druck und hörte auf das Geräusch der Pilgersandalen – ein steter Zug aus Leuten, die hier am Ziel waren, beneidenswert ruhig, wie eins mit ihrem Schlurfen über das alte Pflaster, schon am Ziel der eigenen Monotonie.
    UND die Nacht zäh und verschlungen, mal nichts als Schlaf, dann wieder halbes Wachsein, einmal sogar ein kurzes Reden, Wie lange ist das her, dass wir beide hier waren? Renz wollte sich ein bisschen erinnern, wie war dies, wie war das, die Tage vor Kaspers Tod, aber es gibt auch kein harmloses Erinnern, nicht in dem Alter. Lass uns schlafen, flüsterte Vila und lag dann selbst wach; von außen kaum ein Laut, irgendwann Schritte tief unter dem Fenster, später ein verfrühter Vogel, sein Tschilpen ohne Antwort. Und durch das Morgenläuten der Basilika eine Befreiung aus Träumen, wie man sie lieber für sich behält. Renz’ Fieber war kaum gesunken, also ein Leichtes, sich um ihn zu sorgen, erhole dich, bleib im Bett, auf einen Tag kommt es nicht an, die Polizei in Torri kann warten, schlaf, du versäumst nichts, es regnet, ein grauer Tag.
    Sie aber nutzte den Regentag wie geplant und ging in jede Kirche Assisis, auch in die abgelegenen kleinsten wie Santo Stefano an einer steil aufwärts führenden Gasse oder Santa Maria delle Rose schon nah der oberen Stadtmauer. In beiden steckte sie Kerzen an, richtige Kerzen, keine Sparlampen, und später auch in Santa Maria Maggiore nah der unteren Mauer bei den Olivengärten und in der geduckten, wie aus einem Felsstück gehauenen Sant’Apollinare-Kirche. Dort war sie ganz allein und stand lange vor dem Altar, das Haar nass vom Regen, über der Schulter die Notebooktasche, darin der Umschlag von Bühl – dass sie irgendwo arbeiten wollte, in einem Café, hatte sie Renz gesagt, und nun war auch die Tasche nass, zum Glück nur außen, ihr Gerät und der Umschlag waren trocken, das eng Geschriebene auf dem Malpapier noch immer ungelesen. Sie stand da, und nichts passierte, nicht einmal die Tür ging hinter ihr knarrend, keine Schritte in ihrem Rücken und schon gar nicht Hände, die ihr ruhig um die Hüften griffen, und im Nacken ein Mund, eine Stimme, wie geht es dir, geht es dir gut? Und sie machte sich noch einmal auf, lief noch einmal bergan, bis zur abgelegensten der kleinen Kirchen, San Lorenzo; dort steckte sie wieder eine Kerze an, stand wieder vor einem Altar mit Kreuz, nass und allein, und gelobte jetzt auch etwas, wenn von hinten zwei Hände kämen – Renz zu sagen, was es zu sagen gab. Sie hielt sogar den Atem an, um jedes göttliche Entgegenkommen in ihrem Rücken zu hören, aber da war nur das Regengeräusch auf dem Dach, also konnte sie alles für sich behalten, fast ein Trost. Und der Rückweg zum Hotel in einem Gefühl, als würde sie neben sich
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