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Liebe im Schnee

Liebe im Schnee

Titel: Liebe im Schnee
Autoren: S. Fischer-Fabian
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Kirsten war doch tatsächlich bei der Obermayer-Schwester einquartiert worden.
    Ein Sinnspruch fehlte auch nicht. Die Buchstaben waren in ein Stück Birkenholz gebrannt und ergaben den Satz: »Ihr Alpenleit, nimmts eich in acht, daß ihr nicht Hokuspokus macht; denn nach dieser kurzen Zeit folgt eine lange Ewigkeit.«
    Man sollte viel mehr Hokuspokus machen, dachte Kirsten und war im selben Moment eingeschlafen. Sie schlief so tief, wie man nur mit Zwanzig schlafen kann. Punkt neun Uhr zehn drang der klagende Pfiff einer Lokomotive in ihren Schlaf. Kirsten stieg sofort ein in den Zug.
    Der Zug rollte durch Himmelsjoch, er kroch die Hänge empor und sauste sie wieder hinunter. Die Waggons hatten keine Räder, sondern lange Brettln. Auf der Lok stand der Hausdiener Toni und rief: »Bergschulter vor, s’il vous plaît.« Dann schrie er: »Obacht geben!« Aber es war schon zu spät. Der Zug stürzte in eine Gletscherspalte, und Kirsten fiel und fiel und fiel. Eine riesige Eishöhle tat sich auf. In einer Ecke war eine riesige Eisbar. Hinter der Bar saßen der Florian und Jan Kiekebusch und ihr Vater. Alle drei trugen sie riesige Allongeperücken. So wie die englischen Richter. Aber die hier waren rot. Tizianrot! Sie winkten ihr mit dem gekrümmten rechten Zeigefinger, so wie im Märchen die Knusperhexe winkt, wie an Schnüren gezogen glitt Kirsten auf die Bar zu. Die drei Perücken heulten dumpf: »Höl—len—was—ser!« Und schenkten ihr einen Melkeimer davon ein. Kirsten schluckte und schluckte. Im Spiegel hinter der Bar- sah sie, wie ihr blondes Haar langsam rot wurde, tizianrot, und dann wurde es blau, und dann grün, und dann hatte es alle Regenbogenfarben: »Hi, hi, hi, hi, hi, hi!« kicherten die Perücken. Die Höhlenwände warfen ein schauriges Echo. Aus der Ecke kam der Kater Augustus, er hielt einen Fotoapparat in seinen Pfoten. »Bittesäär, bittesäär, bittesäär!« maunzte er.
    Er maunzte solange, bis Kirsten erwachte. Draußen auf dem Balkon saß die Katze ihrer Wirtin und wollte wie jeden Morgen zu ihr ins Zimmer. Sie erhob sich schlaftrunken und öffnete die Tür.
    »Morgen, Mieze«, sagte sie und strich ihr über das Fell, »träumst du auch solche schrecklichen Sachen?« Die Katze strich ihr schnurrend um die Beine. Kirsten setzte sich auf die Bettkante, gähnte herzzerreißend und fuhr sich mit beiden Händen durch die Haare. Sie versuchte, ihren Traum noch ein Stückchen weiterzuträumen. Aber sie kam nicht weit. Der Kater mit dem Fotoapparat wollte nicht mehr mitspielen.
    Fotoapparat? Kirsten sprang auf und stieß sich dort, wo der dritte blaue Fleck war. Dieser Fotograf wollte doch ihre Bilder aushängen. In seinem Kasten, Himmel, das hätte sie beinah vergessen...
    Der dicke Madeira saß in seiner Dunkelkammer, die an den Ladenraum grenzte, und prüfte die lichtbildnerische: Ausbeute des gestrigen Tages. Hunderte von Fotos waren es wieder: Skiläufer lachend beim Liftfahren, Skiläufer lachend am Sammelplatz, Skiläufer lachend beim Ab- und lachend beim Anschnallen, Skiläufer lachend mit dem Skistock auf den Gamskogel zeigend.
    Wintersport schien ausgesprochen komisch zu sein.
    Und dann die Stapel mit dem süßen (Nacht)Leben: im Blitzlicht erstarrte Gesichter, schreckensweit aufgerissene Augen, gefrorenes Lächeln und Gläser in der Hand.
    »Semper idem«, seufzte Madeira. Was lateinisch war und »Immer dasselbe« hieß. Er hatte es einmal auf einer Kachel gelesen, die über dem Bett eines Ehepaares in Zürich hing. Der Spruch hatte ihm sehr imponiert.
    Madeira repräsentierte in Himmelsjoch die Bohème. Wenn man vom Schreiner Pelletmayer, der wo die echten gotischen Plastiken schnitzte, einmal absah. Er hieß eigentlich gar nicht Madeira, sondern Klumpschmitt. »Fotosalon Klumpschmitt« aber wäre für ein künstlerisches Institut wie das seinige vernichtend gewesen.
    »Warum«, sinnierte Madeira und blätterte mit angefeuchtetem Daumen die Fotos durch, »gibt es eigentlich noch keine busenfreie Après-Skianzüge? Das wär’ eine Gaudi.« Denn er hatte einen Ero-Tick. Da schlug die Ladentür mit melodischem Dreiklang an.
    »Guten Tag«, sagte das Mädchen, das in den Laden trat. Es trug eine Pudelmütze und eine jener wagenradgroßen Sonnenbrillen, die von einem Gesicht wenig übriglassen. »Sie haben mich gestern geknipst. Da oben an der Gamshütte. Könnte ich das Foto haben?«
    »Ich kann mich nicht entsinnen«, meinte Madeira und versuchte, dem Mädchen ins Gesicht zu
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