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Lichtschwester

Lichtschwester

Titel: Lichtschwester
Autoren: Marion Zimmer Bradley
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Angst vor den Funken so
angespannt wie eine überdrehte Harfensaite.
  Das jenseitige, nördliche Ufer hatte Feuer gefangen. Die Flammen
umarmten die Bäume dort inniger noch als Liebende - der Sturm
und der Funkenflug hatten ihr höllisches Werk vollbracht... Ne-
lerissa dankte Resdren, dem Schutzpatron der Diebinnen und
Diebe, daß die sie den Weg ins Wasser hatte finden lassen.
  Aber so von Kälte und Hitze geplagt - der Eiseskälte des aus den
Westbergen kommenden Flusses und der Gluthitze über den Flu-
ten -, wurde Nelerissa bald von einem starken Schüttelfrost ge-
plagt, und da wußte sie, daß es kritisch wurde. Sie kühlte rasch
aus, konnte aber nicht aus dem Wasser und sich aufwärmen. Da-
her versenkte sie sich, wie sie es bei einem Schamanen der Nord-
berge gelernt hatte, in einen Zustand tiefer Kontemplation. Ihr Bewußtsein wurde davon nicht getrübt - sie wußte gut, wo sie
war, was um sie geschah und was sie zu tun hatte. Aber sie war
jetzt fast unempfindlich gegen Hitze und Kälte und spürte kaum
noch Schmerzen.
      Sie wollte auch alle Gedanken bannen und mußte doch daran den-
ken, wie und warum sie in diese Hölle geraten war.
      Sie - Nelerissa Grassamen - war die beste Diebin in der Stadt und
der Mann, den man Degen hieß, der beste Dieb dort. Aber jeder
von ihnen hielt sich selbst für die Nummer eins ... Die Stammgäste der Stadtschänke, in der sie verkehrten, waren in diesem Punkt recht unbeständiger Meinung und immer zu einer Wette bereit.
  So hatten sie Degen die Palme zuerkannt, als er der Prinzessin von
Leileth die Krone stahl - und Grassamen den Lorbeer, als sie dann
aus der Schatzkammer des Ersten Handelsherrn den magischen
Rubinschlüssel und erlesenste Edelsteine entwendete. So war es
eine ausgemachte Sache gewesen, daß sie nach Westen zögen, um
den Menschenschädel aus reinem Opal, von dem man jüngst ge-
hört hatte, zu stehlen, ja, in manchen Schenken hatte man sie gar
gefragt, wann sie denn nun aufzubrechen gedenke! Denn jeder
wußte: Wer jene Trophäe erränge, würde zum Diebskönig von
Areherna ausgerufen.
      Im Sommer durchquerten nur wenige Karawanen die Goldene
Steppe. Aber ihr alter Freund Hundeohr hatte ihr zugetragen, daß
sich da eine zum Aufbruch vorbereite. So war sie zum Westtor
geeilt. Von Degen weit und breit keine Spur - war er am Ende
schon abgereist? Aber Hundeohr hatte ihr ja hoch und heilig ge-
schworen, daß er die Stadt nicht verlassen hätte ... Sie hatte sich
dem Karawanenführer unter falschem Namen angedient. Und der
hatte sie angeheuert, als Wächterin. Daß sie Ausländerin war,
hatte ihn, bei ihrem Geschick im Kampf mit Dolch und Schwert,
nicht geschert. Aber daß sie auch die legendäre Kunst des waffen-
losen Kampfes beherrschte, die man vormals in den Nordbergen
lehrte, hatte sie ihm verschwiegen. Es gab unter den Lebenden nur
einen, der um ihr Geheimnis wußte. Den anderen hatte es den Tod
gebracht.
      Die Reise war trotz der jahreszeitlichen Risiken drei Monate lang
glücklich verlaufen - bis dann, nur noch drei Tagesritte von den
Westbergen entfernt, ein haschberauschter Wächter diese Steppe
in ein Flammenmeer verwandelt hatte.
      Als Nelerissa dann aus dem Fluß kletterte, war die Welt grau und
schwarz geworden. Die Erde war verbrannt, der Wald ein rau-
chendes Skelett und die Straße knöcheltief mit grauer Asche be-
deckt, und die Sonne ging an einem rauchverhangenem Himmel
unter. Nelerissa machte sich nach Westen auf und richtete ihre
Schritte dabei nach dem einzigen Farbtupfer in dieser schwarz-
grauen Öde: dem riesigen und blutrot leuchtenden Feuerball der
versinkenden Sonne.
      Kein Sternenfunkeln durchbrach den dichten Schleier aus Rauch
und Asche, als die Nacht hereingebrochen war. Und Nelerissa
stolperte durchs Dunkel. Nur am Tapsen ihrer durchtränkten
Stiefel erkannte sie, daß sie noch auf der alten Flußstraße war.
  Und sie war so tief in ihrer Trance, die ihr Hunger, Schmerz und
Angst nahm, daß sie nicht einmal ihre Ohnmacht nahen spürte.
      Barbaren vom kriegerischen Reitervolk der Goldenen Steppe
beugten sich über sie, als sie im Morgenlicht zu sich kam. Drei
oder vier der halbnackten Wilden halfen ihr auf. Und sie starrte in
all die grell bemalten Gesichter, auf das bunte Lederzeug und den
Zierat, mit dem sie überreich beladen waren. Für Diebsaugen wie
die ihren waren diese Kerle mit ihren knalligen Messingfußreifen
und feinen Goldringen, mit ihren edelsteinübersäten Brustschil-
den,
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