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Lichtpfade - Die Chroniken der Akkadier II (Gesamtausgabe)

Lichtpfade - Die Chroniken der Akkadier II (Gesamtausgabe)

Titel: Lichtpfade - Die Chroniken der Akkadier II (Gesamtausgabe)
Autoren: Jordan Bay
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klammerte sich an ihre Mutter. Sie wollte nicht. Sie konnte nicht. Sie war noch nicht soweit.
    „Mama?“, brachte sie zitternd hervor. „Ich gehe kurz nach oben, okay?“
    Caja schluchzte und nickte stumm mit dem Kopf. „Ja. Ja, ist gut. Beeil dich. Ich bereite Abendbrot vor.“
    Elín wischte sich die Wangen trocken und stand auf.
    „Ich hab dich lieb.“ Sie jammerte es mehr, als dass sie es sagte.
    Caja lächelte. „Ich dich auch, mein Schatz.“ Sie drückte Elíns Hand ein letztes Mal.
    Die Akkadia löste ihren Blick von der Frau, die einst ihre Mutter gewesen war, und ging auf den Flur zu. Ihre Füße waren aus Blei. Ihr Körper kalt. Als Caja Elíns Gesicht nicht mehr sehen konnte, presste sie die Lippen so fest aufeinander, dass kein Geräusch durchdringen konnte. Ihre Lungen schrien nach Luft. Doch sie durfte nicht atmen. Wusste, die Laute würden sie verraten.
    Mit jeder Stufe sagte sie ihren Eltern Lebewohl, klammerte sich ans Geländer, um nicht umzukehren. Und mit jeder Stufe wurde die Frage lauter, ob sie sie schon vergessen hatten. Ob Caja und Jon noch wussten, dass ihre Tochter lebte.
    Oben angekommen legte sie den Brief nieder, verbarg ihr Gesicht in zitternden Händen und rief den Akkadier flüsternd herbei.
     
    Ju hatte gewusst, dass es ein Fehler war. Noch bevor er Elín aus ihrem Zuhause holte und an den Strand brachte, um ihre Schreie vom Tosen der Wellen verschlucken zu lassen. Sie wurde von solchen Krämpfen geschüttelt, dass er befürchtete, sie wäre einer Ohnmacht nahe. Und er hielt sie, solange es andauerte. Hielt den zitternden Leib, verbarg ihr Wehklagen an seiner Brust, erduldete ihre Hände, die seine beinahe brachen.
    Mit schwerem Herzen blickte er aufs Meer hinaus und fühlte sich in die Vergangenheit zurückversetzt. Er wusste, wie lange es brauchen konnte, solch ein Leid zu verarbeiten. Mit dem Unterschied, dass Elíns Eltern immer hier wären. Und sie sich jeden Abend erneut davon abhalten musste herzukommen, um sie noch einmal in die Arme zu schließen. Um sich noch einmal in dem Gefühl zu verlieren, ihr Leben wäre nicht in den Grundfesten erschüttert und neu geordnet worden.
    Er wusste, dies wäre nicht der letzte Abend, dass sie beide an diesem Strand kauerten und er seine Frau in den Armen hielt, während sie versuchte, ihrer Sehnsucht Herr zu werden. An die Zeit, wenn dieses Haus einmal leer stehen würde, wollte er erst gar nicht denken.
     

Kapitel 30
     
    In den darauf folgenden Tagen leckte Elín ihre Wunden – die äußeren, bis sie verheilt waren. Die Inneren würden noch eine Weile bluten. Sie weinte, lachte, liebte. Sie trieb Ju mit ihrer Unerzogenheit in den Wahnsinn und bekam jedes zweite Mal dafür den Hintern versohlt, unternahm mit Selene Shoppingtouren in sämtliche umliegenden Städte, um sich abzulenken, diskutierte mit Roven über Whiskeysorten und zockte mit Jason ‚Halo: Reach‘ auf seiner Spielekonsole, bis beide quadratische Augen bekamen. Adam zeigte ihr ein paar einfache Rezepte zum Nachkochen. Immerhin musste sie sich nun allein versorgen. Und Ju, falls er denn mitaß.
    Heute hieß es Abschied nehmen. Von Avenstone.
    Der Tibeter hatte sein Versprechen gehalten und ihnen eine Fertighütte mitten in das Nirgendwo von Island stellen lassen.
    Als sie beide nahe dem Hochland Gestalt annahmen, hielt Elín ihren Marasch an der einen und die Tasche mit der Shopping-Ausbeute in der anderen Hand. Es schneite. Sie grinste zu Ju hinauf, auf dessen kahlem Kopf die ersten Flocken dahin schmolzen. Sie schmolz mit ihnen. Denn er schmunzelte zurück. Mittlerweile tat er das öfter. Und die wenigen Altersfalten in seinem kantigen Gesicht verwandelten sich zu Lachfalten. Doch die Momente, in denen er lächelte, waren ihr vorbehalten. Sie war Auslöser und Anlass und stolz darauf. Sie brauchte es und war dankbar dafür.
    In den dunklen Iriden des Akkadiers regte sich etwas. Seit Tagen ihr erster Moment allein. Nicht dass es auf Avenstone keine Privatsphäre gab, aber sie hatten sich doch sehr zurückhalten müssen, um niemanden zu belästigen.
    Elín atmete tief durch und saugte seinen orientalischen Duft in sich auf. Wenn es einen Badezusatz mit diesem Geruch gäbe, sie würde jeden Tag in der Wanne verbringen. Wobei – warum sollte sie, wenn sie ihn ab sofort immer um sich hatte und sich an seinem warmen, harten Körper reiben konnte, wann immer sie wollte. Jetzt zum Beispiel.
    „So“, begann sie und unterdrückte ihre Vorfreude für einen Moment.
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