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Lichtlos 1 (German Edition)

Lichtlos 1 (German Edition)

Titel: Lichtlos 1 (German Edition)
Autoren: Dean Koontz
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das Fleisch seines Gesichts durch die Hitze wie Schrumpffolie klebt, hat beinahe die Größe und die Form einer Wassermelone. Die Augen sind in das ausgedörrte Gehirn zurückgesunken, aber nach den Augenhöhlen zu urteilen, müssen sie die Größe von Zitronen gehabt haben, nicht horizontal in das Gesicht eingefügt wie menschliche Augen, sondern vertikal. Der übrige Nasenknorpel und eine Masse verschrumpelten Gewebes, das darüber drapiert ist, weisen auf einen Rüssel wie den eines Ameisenbären hin, doch drei gekrümmte hornartige Gebilde, jedes fünf Zentimeter lang, stehen aus diesem Teil seines Gesichts heraus, ganz anders als alles, womit sich ein Ameisenbär brüsten kann. Die Lippen haben sich durch ihr Schrumpfen von seinen Zähnen zurückgezogen, die an das orale Waffenarsenal eines Wolfs erinnern. Der Mund geht ungewöhnlich weit auf, um den vollen Gebrauch dieses heimtückisch scharfen und selbst jetzt noch schimmernden Essbestecks zu erlauben.
    Die Vorahnung des Bösen, die auf dem größten Teil des Weges vom Strand hierher ihre Klauen in mich geschlagen hatte, hat sich nicht abgeschwächt, aber der Grund dafür ist nicht dieser Kadaver. Was auch immer mich in Alarmbereitschaft versetzt, ist hinter den Türen am Ende dieses Korridors, entweder lebendige Exemplare, die mit diesem Leichnam verwandt sind, oder etwas noch Schlimmeres.
    Noch etwas erscheint mir wichtig. Dieses Gerippe scheint so trocken wie Pergament zu sein, aber auf dem Boden darunter sind weder Flecken noch von der Zeit verhärtete Rückstände verwesenden Gewebes zu erkennen. Wo sind die Körperflüssigkeiten hingekommen, die sich auflösenden und faulenden Fette?
    »Ich habe den alten Ork ein paar Monate lang studiert « , sagt das Mädchen .
    »Ihn studiert? Ein paar Monate ?«
    »Ich kann etwas von ihm lernen. Etwas, das uns helfen wird. Ich bin sicher, dass es hilft .«
    »Aber … du hast ihn hier allein studiert ?«
    Keine zwei Meter von der Leiche entfernt liegen ein paar zusammengefaltete gesteppte blaue Umzugsdecken, die Jolie offenbar mitgebracht hat, um es bequemer zu haben. Sie setzt sich im Schneidersitz auf eine der Decken.
    »Orks machen mir keine Angst. Es gibt nicht mehr viel, was mir Angst einjagen kann, nicht nach fünf Jahren Dr. Hiskott .«
    »Wer ?«
    Das Mädchen buchstabiert mir den Namen. »Der widerliche Kerl wohnt in dem Haus, das früher unser Haus war. Wir sind seine Tiere, die er quälen kann. Sklaven, Spielzeug .«
    »Der Puppenspieler .«
    »Als sie auf der Veranda mit dir gesprochen hat, konnte Mom seinen Namen nicht sagen. Er weiß es, wenn sein Name benutzt wird. Aber hier bin ich außerhalb der Reichweite des Mistkerls. Er kann mich nicht hören, wenn ich sage, wie sehr ich ihn hasse und wie sehr ich mir wünsche, ihn richtig brutal zu töten .«
    Ich lasse mich ihr gegenüber auf einer anderen zusammengefalteten Decke nieder.
    In Jolies Art sich zu kleiden drückt sich die Aufsässigkeit aus, die sie nicht auszuleben wagt: schmutzige Turnschuhe, Jeans, eine abgetragene Jeansjacke mit dekorativen Kupfernieten, um ein Kettenhemd anzudeuten, und ein schwarzes T-Shirt, auf dem ein weißer Schädel grinst.
    Trotz dieser Aufmachung und des beständigen Zorns, der ihr Gesicht verhärtet, ist ihre zarte Schönheit noch größer, als es mir ihre Mutter übermitteln konnte. Auch wenn sie ein Wildfang ist, ist sie eines jener Mädchen, die beim Weihnachtsumzug der Kirche immer für die Rolle eines Engels ausgewählt werden und mit denen man in Theateraufführungen der Schule die weltliche Heilige besetzen würde. Spuren aufkeimender Sexualität tragen nur unerheblich zu ihrer Schönheit bei. Weitaus entscheidender ist, dass sie von innen heraus leuchtet und eine Gutherzigkeit und eine Unschuld ausstrahlt, die ein Spiegelbild dieses immensen Liebreizes sind, den wir in der Natur manchmal flüchtig zu sehen bekommen und aus der wir die Zuversicht schöpfen, dass die Welt ein Ort von vorzüglicher Bestimmung ist.
    »Dr. Hiskott. Woher ist er gekommen, Jolie ?«
    »Er sagt, aus Moonlight Bay. Das liegt zwei Meilen weiter oben an der Küste. Aber wir glauben, dass er in Wirklichkeit von Fort Wyvern kam .«
    »Dem Militärstützpunkt ?«
    »Ja. Ein Stückchen weiter im Inland von Moonlight Bay aus – und von hier. Gigantisch .«
    »Wie gigantisch ?«
    »Circa 55 000 Hektar. Eine kleine Stadt. Zivile Arbeitskräfte, militärische Typen, ihre Familien – um die vierzigtausend Menschen haben früher dort gelebt.
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